2020: Leta Semadeni
Leta Semadeni
Tulpen / Tulipanas
Mit Illustrationen von Madlaina Janett und einem Nachwort von Rico Valär.
Zürich: SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk 2019.
32 Seiten. 8,00 Euro.
ISBN 978-3-7269-0185-1
„Die Sonne / fährt Velo / am Ufer entlang“ heißt es einmal. Ein andermal „Die Mähne des Windes / hat die Tür geöffnet / die in den Garten führt“ oder „Nachts verlässt Lilli / das Haus und / streut ihre Augen aus / über die Straße.“ Von solchen ersten Strophen aus entwirft Leta Semadeni das Wunderbare, lässt die Bilder und Augen, die Sonne und den Wind aus und folgt ihnen zweisprachig auf Rätoromänisch und Deutsch beim Zaubern, beim Tanzen, beim Erforschen der Welt, die bei Semadeni immer wieder mit einem Erstaunen beginnt, um die Wörter und ihre Poesie umso intensiver leuchten zu lassen. Was sie dabei entdeckt und entdecken macht, ist nichts weniger als die Zauberkraft selbst, die im Alltag und in den Worten steckt und nur darauf zu warten scheint, wahrgenommen und befreit zu werden. „Metta / il cour / aint illa locca // Fa ün sigl / sainza rait / sülla prosma / lingia” heißt es in „Gedichte lesen“ / „Leger poesias“: „Leg / das Herz / in die Lücke // Spring / ohne Netz / auf die nächste / Zeile.“ Im Dazwischen liegt die Poesie dieser Gedichte, und im Mut, „ohne Netz / auf die nächste / Zeile“ zu springen. Die rotblauen Illustrationen von Madlaina Janett nehmen den Ball der Freiheit mit großer Sensibilität auf und überwinden die Grenzen von Seite und Schwerkraft. Ja, mit Mut und für Mut wird man in diesem Bändchen reichlich belohnt!
Leta Semadeni, geboren 1944 in Scuol/Schweiz, studierte Sprachen an der Universität Zürich, in Perugia und Quito/Ecuador. Sie unterrichtete an Schulen in Zürich und im Engadin. Seit 2005 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben, publiziert Prosa und Gedichte in Rätoromanisch und Deutsch. Ihr erster Roman Tamangur (2015) wurde 2016 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. 2017 erhielt Leta Semadeni den Kulturpreis des Kantons Graubünden für ihr Lebenswerk.
Leta Semadeni,
Foto:
© Georg Luzi
Die Preisvergabe hätte am 26. Juni 2020 im Rahmen der Fachtagung „Kinderlyrik: Motor des frühkindlichen Sprach- und Bildungsverstehens“ in der Schwabenakademie Irsee stattfinden sollen, dem Lebensort des namensgebenden Lyrikers Josef Guggenmos (1922–2003). Auch ein späterer Termin im November 2020 konnte coronabedingt nicht stattfinden. Ein angemessener Festakt findet (hoffentlich) im Jahr 2021 in Irsee statt …
Der 2016 erstmals verliehene Kinderlyrikpreis wird von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur verliehen. Die Raiffeisenbank Kirchweihtal stattet den Preis mit 3.000 Euro aus. Die Vergabe des Preises unterstützen neben der Kulturstiftung Irsee die Marktgemeinde Irsee sowie die Schwabenakademie Irsee. Von der Akademie Faber-Castell wird ein „perfekter“ Bleistift überreicht, der das Schreiben weiterer preiswürdiger Gedichte inspirieren kann.
Die Jury für den JOSEF GUGGENMOS-PREIS FÜR KINDERLYRIK 2020
- Arne Rautenberg (Lyriker, Preisträger 2016, Jury-Vorsitz)
- Prof. Dr. Dr. Kurt Franz (Ehrenpräsident der Akademie)
- Michael Hammerschmid (Lyriker, Preisträger 2018)
- Dr. Claudia Maria Pecher (Präsidentin der Akademie)
- Dr. Tilman Spreckelsen (Redakteur, FAZ)
EMPFEHLUNGSLISTE 2020
Die Jury des diesjährigen Guggenmos-Preises hatte wieder erfreulich zu tun: 32 Gedichtbände, Bilderbücher, Gedichtsammlungen mit Erscheinungsjahr 2018 bis 2020 wurden gesichtet, es gab Entdeckungen und Wiederentdeckungen: Der hervorragend von Ursula Remmers und Ursula Warmbold herausgegebene Sammelband Oben schwimmt die Sonne davon mit Gedichten der bedeutenden Lyrikerin Elisabeth Borchers (1926–2013) gehört dazu (dtv 2019, Reihe Hanser); solch verlegerisch mutige Bücher helfen, dass wichtige Positionen, selbst wenn sie zu verblassen drohen, zurück in unsere Lesesphäre geraten – danke dafür!
Des Weiteren gratulieren wir Uwe-Michael Gutzschhahn, der nun seit fünf Jahren unermüdlich in seinem Kindergedichte-Blog auf der Website der Zeitschrift DAS GEDICHT weiter nach frischen lyrischen Trüffeln forscht; 59 Autorinnen und Autoren haben für seinen Blog bereits ihr Schatzkästchen geöffnet und lassen uns an ihren unveröffentlichten Gedichten für Kinder teilhaben. Ein herrlich inspirierendes Füllhorn!
Wie unsere Empfehlungsliste zeigt, lebt die aktuelle Kinderlyrik auf vielerlei Weise fort und es gibt einiges zu entdecken:
Kenn Nesbitt (Hrsg.)
Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht!
Gedichte zur guten Nacht
Mit Illustrationen von Christoph Niemann und einem Vorwort von Michael Krüger.
München: Carl Hanser 2019. 184 Seiten. 22,00 Euro.
ISBN 978-3-446-26438-0
100 englische Gutenachtgedichte von knapp ebenso vielen übersetzenden deutschsprachigen Dichterinnen und Dichtern: Kenn Nesbitt, seines Zeichens „Children’s Poet Laureate“ 2013–2015, präsentiert als Herausgeber dieser Anthologie eine bienenschwarmgleiche Sammlung von Gutenachtgedichten, in denen sich die Reime, Bilder und Klänge nur so tummeln und mit ihnen Bären, Teddys, Flattertiere oder auch die sonderbare Pelzforelle. Begleitet wird das Gedichte-Orchester illustratorisch von Christoph Niemann, der zu jedem Gedicht einen überraschenden und treffenden zeichnerischen Gedanken formuliert.
Nils Mohl
der könig der kinder
gedichte
Mit Illustrationen von Katharina Greve.
München: mixtvision 2020.
64 Seiten. 16,00 Euro.
ISBN 978-3-95854-155-9
Nils Mohl
tänze der untertanen
gedichte
Mit Illustrationen von Katharina Greve.
München: mixtvision 2020.
64 Seiten. 16,00 Euro.
ISBN 978-3-95854-156-6
Ein Band für Kinder, einer für Jugendliche, beide illustriert von Katharina Greve. Besonders in tänze der untertanen zeigt sich der Jugendbuchautor Mohl in großer Form. Überraschend in seinen Wendungen und doch geschlossen bis zur schieren Konsequenz, frei fliegend und immer auf den Punkt, formbewusst und verspielt – Nils Mohls Gedichte sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wohin es einen tragen kann, wenn man anhebt mit Zeilen wie „du machst urlaub in malmö / das juckt mich nicht / nö! // du drehst um bei jeder bö / mach ich da mit? / nö!“ Gewidmet ist der Band den „halunken und halunkinnen“, das heißt hier: „für alle, die noch wachsen“. Schwer vorzustellen, nicht dabei zu sein.
Regina Schwarz
Wen du brauchst
Mit Illustrationen von Stefanie Harjes.
München: Tulipan 2019. 28 Seiten. 12,00 Euro.
ISBN 978-3-86429-417-4
Das bibliophil gestaltete Bilderbuch Wen du brauchst basiert auf einem Gedicht von Regina Schwarz, die mit ihren Sprachspielen und humorvollen, aber auch nachdenklich stimmenden Gedichten seit langem erfolgreich ist. Es ist erstaunlich, aber zwölf Gedichtzeilen ergeben ein rundum gelungenes Buch. Zu jeweils einer Textzeile – manchmal nur ein oder zwei Wörter – hat Stefanie Harjes mit unglaublicher Leichtigkeit eine Doppelseite bildnerisch gestaltet, abwechslungsreich, witzig, hintergründig, poetisch. Die feinen Zeichnungen sind kongenial, sie erläutern und ergänzen den Text, ganz gleich ob man einen zum „Regenbogen-Suchen-Gehn“ oder zum „Fest-aufdem-Boden-Stehn“, zum „Lachen“ oder zum „Weinen“ braucht. So gibt es für Kinder, am besten zusammen mit Erwachsenen, viel zu entdecken und über die Unabdingbarkeit menschlichen Miteinanders in allen Lebenslagen nachzudenken.
Elisabeth Steinkellner
Vom Flaniern und Weltspaziern
Reime und Sprüche
Mit Illustrationen von Michael Roher.
Innsbruck / Wien: Tyrolia 2019. 112 Seiten. 16,95 Euro.
ISBN 978-3-7022-3741-7
Der Doppeltitel Flaniern und Weltspaziern, der in einer Gedichtstrophe als eine Art „Beruf-ung“ apostrophiert wird, ist tatsächlich Programm des Buches. Wir unternehmen in 66 teils sehr kurzen, teils längeren Gedichten einen Gang durch die kindliche Welt und durchleben auf humorvolle Weise kindgemäße Situationen, ob beim Zahnarzt oder auf Reisen, ob im Strandbad oder in Paris. Sind örtlich keine Grenzen gesetzt, so gilt dies auch sprachlich und formal, denn die Autorin verarbeitet sämtliche bei Kindern bekannten und beliebten literarischen Muster, vom Abzählvers über Vokalreim, Zahlengedicht, Namenspiel und Lügengedicht bis hin zu Bildgedicht und konkreter Poesie. Die vereinzelten Austriazismen wie „Käsekrainer“ oder „Jause“ verleihen den Texten einen besonderen Charme. Das Buch lädt Klein und Groß zum „Flanieren“ und „Weltspazieren“ ein, nicht zuletzt durch die ansprechende Gestaltung, die durchgehend treffenden Skizzen und die vier farbig gestalteten Doppelseiten.
Einar Turkowski
Aus dem Schatten trat ein Fuchs
Hildesheim: Gerstenberg 2019. 40 Seiten. 25,00 Euro.
ISBN 978-3-8369-5666-6
Verspielte, fein durchgezeichnete Schwarzweiß-Illustrationen sind das Markenzeichen von Einar Turkowski. Diesmal schickt er einen Fuchs durch detailreiche Landschaften – Wälder, Seen, Berge. Zarte ornamentale und surreale Beigaben sorgen für eine Zauberwelt-Stimmung; sparsam wird dabei die schwarze Farbe eingesetzt, die den Bildern kosmische Tiefe gibt. Die knappe textliche Begleitung – jede Zeile nur ein kurzer Satz – hebt die besondere Stimmung hervor, Reime scheinen einander zuzufliegen. Pure Poesie. Und der Fuchs? Läuft weiter, Bild für Bild, rastlos, weil ihm nicht erscheint, was ihn innehalten ließe. Doch die magisch aufgeladene Naturwelt dieses lyrischen Bilderbuches sieht auch für ihn ein Ankommen vor: „Eine Farbe erschien. / Nur ein Zipfel davon.“ – es ist der farbige Zipfel eines anderen Fuchsschwanzes, der aus einer Höhle hervorlugt! Und so kommt auch bei unserem Fuchs die Farbe zurück ins Fell: Zwei Füchse finden sich und zaubern nun gemeinsam weiter!
Die gesamte Pressemitteilung zum Herunterladen: PM Josef Guggenmos-Preis 2020 für Leta Semadeni