Jutta Bauer

geboren am 9. Januar 1955 in Hamburg
Illustratorin, Autorin

Helena Trapp
veröffentlicht am 22.09.2022

 

1 Biogramm

Jutta Bauer

Jutta Bauer (Foto: © Jutta Bauer)

Jutta Bauer wächst als jüngstes von fünf Kindern in einem Hamburger Vorort auf (vgl. Beltz Verlag). Die Heterogenität ihres Elternhauses, bestehend aus einem intellektuellen Vater und einer bodenständigen Mutter, wird für Bauers literarisches Schaffen prägend. Schon früh zeigt sie sich lesebegeistert und entwickelt ihre Leidenschaft für das Malen und Zeichen (vgl. Schwab).

Ab 1972 besucht sie die Fachoberschule für Gestaltung und arbeitet nebenbei als Pflegehelferin. Von 1975 bis 1981 studiert Bauer Illustration an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg (heute: Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg) bei Siegfried Oelke. Ihre Studienzeit ist geprägt von politischem Aktivismus, den sie künstlerisch auslebt. Für ihr Engagement in der Studentenbewegung entwirft sie Plakate, Flugblätter und Karikaturen. Noch während des Studiums tritt sie der „Hamburger Illustratorengruppe“ bei und fängt kurze Zeit später mit der Veröffentlichung von Bilderbüchern an.

Als 1983 die langjährige Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Gelberg für den Verlag Beltz & Gelberg beginnt, gibt sie ihre Arbeit als Pflegehelferin auf und etabliert sich als freischaffende Künstlerin. Sie bezieht ein Atelier in einem Fabrikgebäude, aus dem später der Atelierhof „Goldbekhof e. V.“ wird, und zeichnet Cartoons und Bildgeschichten für Verlage und Zeitschriften, darunter auch für die Brigitte. Ab 1991 gestaltet sie zudem Trickfilme für das ZDF.

Bauers umfangreiches Schaffen ist zum größten Teil im kinder- und jugendliterarischen Feld verortet. Neben den zahlreichen eigenen Texten und Illustrationen hat sie aber immer auch die Geschichten namhafter Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Christine Nöstlinger, Kirsten Boie, James Krüss, Jürg Schubiger, Franz Hohler, Peter Härtling, Klaus Kordon und Peter Stamm illustriert. Zugleich schreibt bzw. bebildert sie auch Geschichten für Erwachsene und lehrt Illustration im universitären Bereich sowie im Rahmen von Workshops.

Jutta Bauers Werk erfreut sich eines hohen Renommees und wurde bereits vielfach ausgezeichnet. 2009 erhielt sie den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk und 2010 den Hans-Christian-Andersen-Preis. Ihr Werk wurde in viele Sprachen übersetzt. Einige der Bilderbuchgeschichten, darunter Schreimutter und Die Königin der Farben, wurden für das Theater adaptiert.

Trotzdem ist sie ein bescheidener und unkomplizierter Mensch geblieben. Fröhlich und selbstbewußt guckt sie einen an, redet und lacht viel und laut, kann kaum still sitzen [sic!] und ist permanent damit beschäftigt, irgendwelche künstlerischen oder sozialen Initiativen zu gründen (Schwab).

Charakteristisch für Bauers Geschichten ist, dass sie einerseits die Schwere des Alltags einfangen und diese Ernsthaftigkeit andererseits leicht und spielerisch auftreten lassen kann. Damit gelingt es ihr, Unbeschwertheit und Tiefgründigkeit zu vereinen – in Kunstwerken, die komplex und zugleich einfach und damit strenggenommen keiner Altersstufe zuzuschreiben sind. Da sie vielfältige Sinnangebote machen, sind sie vielmehr als ein Angebot an Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungshorizonten anzusehen.

Heute lebt Jutta Bauer in Hamburg und zuweilen auch in ihrem Bootshäuschen in Schwerin.

Der folgende Beitrag richtet den Fokus auf das kinder- und jugendliterarische Schaffen von Jutta Bauer. Die Vorstellung des Werks erfolgt in zwei Schritten. So wird der Fokus zunächst auf ihre Illustrationen gerichtet, dabei werden exemplarisch ausgewählte Werke vorgestellt, die sie illustriert hat. In einem weiteren Schritt wird auf jene Werke eingegangen, bei denen sowohl der Text als auch die Illustrationen von ihr stammen, wobei auch hier einzelne dieser Werke ausführlicher vorgestellt werden sollen.

 

2 Grundzüge des kinder- und jugendliterarischen Werks

2.1 Die Illustratorin / Stil

Das kinder- und jugendliterarische Wirken Jutta Bauers beginnt mit ihrer Tätigkeit als Illustratorin für die Werke anderer Autoren und Autorinnen. Jutta Bauers Illustrationen sind niemals nur ein Beiwerk der Schrifttexte, sondern sie erzählen eine eigene Geschichte und sind damit ein unabdingbarer Teil der Gesamtgeschichte. Obwohl ihre Bilder eigentlich nicht mit Worten zu beschreiben sind, da dies ihnen bei weitem nicht gerecht wird, soll im Folgenden dennoch versucht werden, das Charakteristische ihrer Zeichenkunst sprachlich zu fassen.

Bauers Zeichnungen wirken locker, beinahe beiläufig oder, wie Hans-Joachim Gelberg es einmal formulierte, „fast absichtslos“. „[A]ber sie treffen genau“, schreibt er weiter, womit er nicht nur den Bauer’schen Stil treffend charakterisiert, sondern gleichzeitig nachahmt, was Bauer malerisch vormacht.

Bauer braucht nur wenige Striche, um das Wesentliche einzufangen und auszudrücken. Es steckt so viel Dynamik in ihren Bildern, dass es so wirkt, als würden sich die gezeichneten Figuren bewegen.

Ihr Stil ist cartoonartig, karikaturesk, skizzenhaft, was ihrer künstlerischen Herkunft als Cartoonzeichnerin geschuldet sein könnte. Gemeinsam haben die Figuren neben ihren markanten Nasen die fülligen Körper und wuscheligen Haare und vor allem die überaus ausdrucksstarke, überzeichnete Mimik und Gestik. Es sind Figuren, die sich fernab von klassischen Schönheitsidealen bewegen.

Bauer zeichnet sowohl mit Buntstift, Pastell- und Wachskreide als auch mit Aquarell und Tusche. Ihr Material ist damit so bunt wie die Farben, die sie verwendet. Ihre gegenständlichen Zeichnungen sind zum Teil sehr detailliert, bestehen mitunter aber auch aus großflächigen Motiven. Gerade ihre großflächigen Bilder, die minimalistisch gehalten sind und aus wenigen Details bestehen, zeichnen sich neben ihrer Einfachheit durch einen besonderen Tiefgang aus.

In ihrer Dankesrede zum „Sonderpreis für das Gesamtwerk Illustration“ des Deutschen Jugendliteraturpreises 2009 prangert Bauer den Status der Bilderbuchillustration an und kämpft damit um die Anerkennung ihrer Kunst. Bauer zieht dabei Parallelen zwischen ihrem Leben als jüngstes von fünf Geschwistern und ihrem Beruf. So wie sie stets im familiären Umfeld als kleine Schwester angesehen wurde, gelte auch ihre Kunst in ihrer Beziehung zu anderen Künsten stets als kleine Schwester, die nicht ernstgenommen werde. Mit ihrer Kritik, dass die Bilderbuchkunst als minderwertig angesehen werde, spielt sie sowohl auf die Unterscheidung zwischen Illustratorin/Illustrator für Kinderbücher und freier Künstlerin/freiem Künstler an als auch indirekt auf die Unterscheidung zwischen Kinder- und Jugend- und Erwachsenenliteratur, bei denen den Erstgenannten jeweils ein geringeres Prestige zukomme. Gleichzeitig betont sie in ihrer Rede auch die Notwendigkeit, sich als Bilderbuchkünstlerin bzw. Bilderbuchkünstler Respekt zu verschaffen, Verlagseingriffe in Bildentscheidungen zum Zweck eines vermeintlich besseren Marketings abzuweisen und sich stattdessen die „künstlerische Eigenwilligkeit“ zu bewahren. „Den jungen Illustratoren, die hier hoffentlich auch sitzen, möchte ich sagen: Sucht eure Authentizität und beharrt darauf. Seid bockig, seid störrisch. Nur so wird man als kleine Schwester groß“ (Bauer 2009).

Stamm/Bauer: Warum wir vor der Stadt wohnen (Beltz & Gelberg 2005)

Warum wir vor der Stadt wohnen (Beltz & Gelberg 2005)

Peter Stamms erstem kinderliterarischen Text Warum wir vor der Stadt wohnen fügt Jutta Bauer eine eigene Handschrift bei. In der Erzählung über eine Familie, die ständig ihren Wohnort wechselt, da an jedem Ort eines der Familienmitglieder etwas auszusetzen hat, vermischen sich realistische und phantastische Anteile miteinander. Der Verbaltext stellt die sich wiederholenden Umzugsereignisse in sich ebenfalls wiederholenden Erzählstrukturen und Sprachmustern dar, was zuweilen an einen Abzählreim erinnert. Die Bilder, die sich jeweils über eine Buchseite erstrecken, zeigen die Familie im jeweils aktuellen Domizil. In kleinen Bleistiftzeichnungen auf der Schrifttextseite sind zudem die Umzugsszenen abgebildet, die die Szenen miteinander verbinden, so dass es wirkt, als würde die Familie von einer Seite zur nächsten ziehen, was der Bilderzählung zudem eine Art von Dynamik verleiht. Als die Familie im Meer wohnte, sah „der Bruder vier Aale, der Großvater machte drei Purzelbäume, die Mutter fand zwei Perlen. Es reichte nicht für eine Kette, auch nicht, als die Großmutter noch eine fand. Der Vater aber konnte unter Wasser nichts sehen. Deshalb zogen wir auf den Hut des Onkels“ (Stamm/Bauer 2005).

Die Bilder Jutta Bauers sind detailreich und nicht minder surreal. Durchzogen sind sie von witzigen und komischen Elementen, wie beispielsweise der nackten Mutter, die sich auf dem Kirchendach sonnt, oder einem Familienmitglied, das ein Kissen statt eines Kopfes trägt, weil es, soviel verrät der Schrifttext, den Klang der Geige nicht ertragen kann, in der die Familie vorübergehend wohnt. Sogar das temporäre Zuhause im Nirgendwo weiß Bauer mittels eines abstrakten Stils bildlich darzustellen. Einige Motive, wie ein eingerahmtes Bild von einem Schaf, tauchen wiederholt in den verschiedenen Schauplätzen auf. Die Zeichnungen sind zum Teil gespickt mit Ausschnitten aus Zeitungen (Collagentechnik) oder Worten, die das Geschehen kommentieren oder einzelne Elemente benennen (so ist neben einem gemalten Specht auch das Wort ‚Specht‘ zu lesen). Insgesamt ist der Bildtext ein Wagnis, das den phantastischen Schrifttext nicht nur umzusetzen, sondern weiterzuführen vermag.

Aus Mozarts humorvollem und nicht weniger frechem Kinderlied Bona nox (1788), das eher wie eine zufällige Aneinanderreihung von Reimworten wirkt, da Klang und Rhythmus einer semantischen Verknüpfung bzw. einem Textsinn übergeordnet zu sein scheinen, erschafft Jutta Bauer eine Bilderbuchgeschichte. Den Liedtext baut Bauer dabei unverändert in ihre Illustrationen ein, mal als Figuren- und mal als Erzählerrede. Obschon sie sich bei ihren Bildern eng am Inhalt der Wortgruppen orientiert, erschafft sie eine dramatische Struktur, die eine Begebenheit aus dem Leben der kleinen Lotte erzählt: Eines Abends liegt das Mädchen im Bett und kann nicht schlafen, weil es draußen einen Ochsen erblickt. Es steht auf und klettert durch das Fenster, woraufhin es von dem Ochsen über das Feld gejagt wird. Am Ende kann es ihn aber in die Flucht schlagen und endlich angstfrei einschlafen.

Dass ihre Bilder immer eine wohldurchdachte Komposition darstellen, liegt sicherlich auch daran, dass auch eine Jutta Bauer, anders als man meinen mag, ihre Zeit zum Malen braucht und sie sich auch nimmt – verrät Gelberg (vgl. Gelberg).

2.2 Die Illustratorin und Schriftstellerin

Im Vergleich zu den Bildern sind die Texte sehr reduziert. Aufgrund ihrer kräftigen Farbgebung, der großflächigen Motive und des Detailreichtums stehen die Bilder deutlich im Vordergrund. Dennoch ist auch hier jedes einzelne Wort ein unverzichtbares Element und das beste Beispiel dafür, dass eine einfache und knappe Lexik nicht zwingend mit Trivialität gleichzusetzen ist.

Inhaltlich widmet sich Jutta Bauer auch schwierigen Themen, was sie auf ihr Selbstvertrauen und ihre Eigenart, Angefangenes zu Ende zu bringen, zurückführt (vgl. Kinderbuchfuchs). Auch die Tatsache, dass sich Bauer als feste Größe im (Kinder- und Jugend-)Literaturbereich etabliert hat, erlaubt ihr, sich weiterhin Wege abseits der „Mainstream-Autobahn“ (ebd.) suchen zu können. In ihre Texte und Bilder lässt Bauer auch Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben einfließen, womit sich die eine oder andere Parallele zwischen der Person Jutta Bauer und ihren Kunstwerken wiedererkennen lässt. In ihrer Dankesrede zum „Sonderpreis für das Gesamtwerk Illustration“ des Deutschen Jugendliteraturpreises sagt sie, dass auch sie, wie die Figur des Großvaters in ihrer Erzählung, viel Glück im Leben hatte (vgl. Bauer 2009). In einem anderen Zusammenhang äußert sie, dass sie, sollte sie im Lotto gewinnen, ihr Leben nicht ändern würde, was stark an ihr Schaf Selma erinnert (vgl. Platthaus 2012). Und dass sich die Fellfarbe der Katze in Warum wir vor der Stadt wohnen ändert, liegt daran, dass Bauers Katze während der Arbeit an den Bildern gestorben war und sie sich eine neue zugelegt hatte (vgl. Tresch).

Ich ziehe stur mein Ding durch, weil ich einen gewissen Stand habe. Meine Bücher werden noch abgenommen (Bauer im Interview mit Kinderbuchfuchs).

Man kann mutmaßen, dass vor allem ihr Familienleben vielfach als Inspiration für ihre Texte gedient hat; viele Geschichten, die sie sich für ihren Sohn ausdachte, wurden nachher als Buch veröffentlicht (vgl. Platthaus 2012). Ihr Bilderbuch Abends, wenn ich schlafen geh (2008) ist eine Adaption des gleichnamigen Gebets; die Engel wollte der Sohn allerdings lieber gegen Füchse tauschen, die dann auch Eingang in das Buch gefunden haben (vgl. Kinderbuchfuchs).

Jutta Bauer zeigt sich wissbegierig und experimentierfreudig sowie gleichzeitig immer an dem Schaffen ihrer jüngeren Kolleginnen und Kollegen interessiert. Wichtig ist ihr dabei, Neues auszuprobieren, sich niemals auf dem Gekonnten auszuruhen, sondern nach Herausforderungen zu suchen und sich damit ihre Kreativität zu erhalten (vgl. Kinderbuchfuchs und Bauer 2009).

Bauers Einsatz für die Würdigung des Kinder- und Jugendliteratur- und insbesondere des Bilderbuch-Bereichs lässt sich auf ihre Haltung gegenüber Kindern und gegenüber der Kunst für Kinder zurückführen. In einem Interview wird deutlich, dass sie keine grundsätzlich anderen Ansprüche an Kunstwerke stellt, die sich an Kinder und weniger an Erwachsene richten. „Wenn ich nach Frankreich schaue, können wir schon neidisch werden. Die Franzosen haben Lust auf Bilder und Kunst. Bei uns muss immer eine relevante Message dahinterstehen – am besten ein Sachbilderbuch über die Antarktis. Etwas Poetisches fällt schnell durchs Raster“ (Kinderbuchfuchs). Weiterhin warnt Bauer davor, Kinder als singuläres Phänomen oder homogene Gruppe zu begreifen. Vielmehr plädiert sie dafür, Kinder als Pluralität zu sehen, die unterschiedliche Lebenskontexte sowie unterschiedliche Empfindungen von Kindern impliziert. Auf die Frage, welches Buch sie Kindern empfehle, antwortet sie: „Aber ansonsten sind Kinder sehr individuell, so wie Erwachsene eben auch. Man kann Kindern ja nicht einheitlich ein Buch verordnen“ (Kinderbuchfuchs).

Ich denke, dass es in unserem Gewerbe gut ist, sich Kindlichkeit zu erhalten. Das ist nämlich etwas sehr Gutes und etwas sehr Ernsthaftes (Bauer 2009).

Im Folgenden wird auf einzelne Bilderbücher Jutta Bauers näher eingegangen, um daran exemplarisch die Charakteristika ihres künstlerischen Schaffens aufzuzeigen.

Bauer: Königin der Farben (Beltz & Gelberg 1998)

Königin der Farben (Beltz & Gelberg 1998)

Die Geschichte Königin der Farben (1998), die zunächst als Fernsehfilm produziert wurde, ist eines der frühen Werke Bauers und erfreut sich bis heute eines hohen Bekanntheitsgrades. Malwida, die Königin der Farben, lässt ihre Untertanen nacheinander auftreten, zuerst das sanfte und milde Blau, dann das wilde und gefährliche Rot und zuletzt das helle und warme Gelb, das aber auch launisch sein kann. Plötzlich kommt es zum Streit und alles wird grau, Malwida ist keine Königin der Farben mehr, sie wird vom Grau beherrscht und erfährt sich ihm gegenüber als ohnmächtig. Nach ihrer Wut darüber kommt die Verzweiflung, dann die Trauer. Malwida weint, sie weint blaue, rote und gelbe Tränen. Die Farben sind zurück und das Grau verschwunden. Glücklich leben die Königin und die Farben von nun an wieder im Königinnenreich. Erzählt wird über Streit und Versöhnung, Einsamkeit und Miteinander durch ein Spiel mit schwarzen Umrisslinien und den drei Grundfarben in Buntstiftgestalt, die die Königin und ihr Reich mal als Schwarz-Weiß-Körper zurücklassen und mal auf unterschiedlichste Weise ausfüllen. Im „selbstreflexive[n] Vorgang der Farbgestaltung“ (Tabbert 2010, S. 117) sowie der Charakterisierung der Farben als individuelle Wesen sieht Reinbert Tabbert ein Charakteristikum postmoderner Kunst erfüllt.

Bauer: Schreimutter (Beltz & Gelberg 2000)

Schreimutter (Beltz & Gelberg 2000)

Das Bilderbuch Schreimutter (2000) wurde 2001 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Eine Pinguinmutter ist wütend auf ihr Kind. Sie schreit, woraufhin das Kind auseinanderfliegt – der Kopf landet im Weltraum, der Körper im Meer, die Flügel im Dschungel, der Schnabel in den Bergen und der Po in der Stadt. Nach und nach werden die Körperteile von der Mutter eingesammelt und zusammengenäht. Durch ihre Entschuldigung sind die beiden wieder versöhnt. Die Komposition aus kindlicher und zugleich nüchterner Erzählperspektive mit den auf ihre ganz eigene Weise erzählenden Farben und den minimalistisch gehaltenen, ausgedehnten Motiven erzählt die Geschichte eines Wutausbruchs in einer Mutter-Kind-Beziehung. Am Ende unternehmen die beiden eine Schiffsreise; auf geglätteten Wogen können sie einen Neuanfang starten.

 

Bauer: Opas Engel (Carlsen 2001)

Opas Engel (Carlsen 2001)

Das Werk Opas Engel (2001), das mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde, handelt von einem alten Mann, der seinem Enkel aus seinem Leben erzählt, und davon, wie viel Glück er hatte. Die verschiedenen Stationen seines Lebenswegs, von denen er berichtet, sind bildlich dargestellt. Nur auf den Bildern zu sehen ist dabei der Schutzengel, der den älter werdenden Jungen stets begleitet und Gefahren von ihm abgewendet hat. Auch dass der Opa seinen besten Freund in jungen Jahren verloren hat, kann sich nur der erklären, der die Bilder aufmerksam betrachtet und um die Bedeutung des gelben sechseckigen Sterns auf der Jacke des Freundes weiß.

Eines der neueren Werke ist Jeppe unterwegs (2021), das auf Bauers Geschichte Der Bote des Königs (2013) basiert. Jeppe erhält von seinem König den Auftrag, eine dringende Botschaft ins Nachbarschloss zu überbringen. Auf seinem Weg kommt Jeppe einiges dazwischen, so hilft er dem verunglückten Vater Eichhorn, rettet den Ball eines kleinen „Viechs“ oder hütet die Kinderschar einer viel beschäftigten Mutter. Besonders interessant ist in der Erzählung die bildliche Darstellung der erzählten Zeit. Auf einem kleinen Bildstreifen, der sich horizontal über den unteren Seitenrand zieht, ist dabei zu sehen, was der König während Jeppes Reise macht. Dies lässt einen Eindruck entstehen, wie viel Zeit derweil vergeht. So ist beispielsweise zu sehen, wie der König heiratet, seinen Hund beerdigt und sich wieder scheiden lässt.

Am Ende kommt Jeppe wieder bei seinem König an, d. h. seine Reise entpuppt sich als Rundreise. Der König freut sich jedoch über Jeppes Rückkehr und lässt sich von seinen Erlebnissen berichten. Im Kreis zu laufen und dennoch zufrieden und reich an Erfahrungen zurückzukehren und somit das Ziel, das kein räumliches mehr ist, doch erreicht zu haben, erinnert Elisabeth Hollerweger und Marc Kudlowski an die vermeintliche Panamareise von Janoschs Tiger und Bär (vgl. Hollerweger/Kudlowski 2021).

Jutta Bauer spricht mit Hilfe von Bildern und Farben eine schnörkellose, unsentimentale Sprache, der es dennoch auf eindrucksvolle Weise gelingt, Gefühlsregungen und Stimmungen einzufangen und vor dem inneren Auge der Lesenden zu verlebendigen. In ihren scheinbar einfachen Werken steckt damit eine Mehrdeutigkeit, die unterschiedliche Lesarten eröffnet und die Geschichten für ganz unterschiedliche Leserinnen und Lesern attraktiv macht.

 

3 Rezeption

Für ihre Arbeiten wurde Jutta Bauer bereits vielfach ausgezeichnet. Zu ihren Auszeichnungen gehört der Troisdorfer Bilderbuchpreis (1998), der Deutsche Jugendliteraturpreis für Schreimutter (2001) sowie der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk Illustration. 2008 wurde sie für den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis nominiert und 2010 erhielt sie mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis eine der international höchsten Anerkennungen im Kinder- und Jugendbuchbereich.

Auch wurde ihr Werk bereits vielfach ausgestellt. Zu den Ausstellungsorten zählten unter anderem die Burg Wissem (Bilderbuchmuseum in Troisdorf), das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, das Wilhelm Busch Museum Hannover, das Museo Luzzati in Genua und der Palazzo delle Arti in Neapel (vgl. jutta-bauer.info).

Von ihren Werken erfreut sich Die Königin der Farben einer besonders großen Beliebtheit. So erhielt es den von der Zeitung Die Zeit und Radio Bremen vergebenen Luchs des Jahres und von der Stiftung Buchkunst wurde es zu den schönsten deutschen Büchern gewählt. Auch in den Deutschunterricht hat es bereits kurz nach seinem Erscheinen Eingang gefunden.

Was Jutta Bauer uns überbringt, sind gute Nachrichten aus einer bewohnbaren Welt. Doch deren Wohnlichkeit ist durchaus nicht selbstverständlich. Es gibt die Unbehausten […] und eine Ahnung von Verlassenheit. Man blättert weiter. Die Ahnung hat einen kalt gestreift. Beim nächsten Lesen schlägt man an dieser Stelle zwei Seiten aufs Mal um – oder man verweilt. Wohnen, Beisammensein ist bedroht, merkt man, ist kostbar (Schubiger).

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur (Auswahl)

Illustrationen

  • Die Reise zur Wunderinsel. Text: Klaus Kordon. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1983.
  • Gottfried, das fliegende Schwein. Text: Waldruhn Behnke. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1985.
  • Das Herz des Piraten. Text: Benno Pludra. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1985.
  • Der Hund kommt. Text: Christine Nöstlinger (1984). Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1987.
  • Hugo, das Kind in den besten Jahren. Text: Christine Nöstlinger (1983). Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1989.
  • Der Zwerg im Kopf. Text: Christine Nöstlinger. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1989.
  • Wir pfeifen auf den Gurkenkönig. Text: Christine Nöstlinger (1972). Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg, Neuausgabe 1990.
  • Ein und Alles. Text: Christine Nöstlinger. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1992.
  • Alles ganz wunderbar weihnachtlich. Text: Kirsten Boie. Hamburg: Oetinger Verlag 1992.
  • Der TV-Karl. Text: Christine Nöstlinger. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1994.
  • Das große Christine Nöstlinger Lesebuch. Text: Christine Nöstlinger. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1996.
  • Schnigula, schnagula. Text: Christian Morgenstern. Frankfurt am Main: Fischer 1996.
  • Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein. Text: Kirsten Boie. Hamburg: Oetinger Verlag 1997.
  • Der Leuchtturm auf den Hummerklippen. Text: James Krüss (1956). Hamburg: Carlsen 1999.
  • Es war eine dunkle und stürmische Nacht. Texte gesammelt von Arnhild Kantelhardt. Hildesheim: Gerstenberg 2001.
  • Warum wir vor der Stadt wohnen. Text: Peter Stamm. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 2005.
  • Der kleine Herr Jakobi. Text: Annette Pehnt. München: Piper 2005.
  • Bona Nox. Text: W. A. Mozart (1788). Hildesheim: Gerstenberg 2005.
  • Rabea und Marili. Text: Annette Pehnt. Hamburg: Carlsen 2006.
  • Ein mittelschönes Leben. Ein Kinderbuch über Obdachlosigkeit. Text: Kirsten Boie. Hamburg: Carlsen / Hinz & Kunz 2008.
  • Sophie macht Geschichten. Text: Peter Härtling (1980). Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 2010.
  • Luftabong und Popapier. Text: Charlotte Habersack. Leipzig: Klett Kinderbuch 2011.
  • Überall ist leicht zu verpassen. Eine ziemlich philosophische Geschichte. Text: Jürg Schubiger. Berlin: Jacoby & Stuart 2012.
  • Fanny ist die Beste. Text: Sarah Ohlsson. Frankfurt am Main: Moritz 2020.

Juli-Reihe, Texte: Kirsten Boie

  • Kein Tag für Juli. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1992.
  • Juli, der Finder. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1993.
  • Juli tut Gutes. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1994.
  • Juli und das Monster. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1995.
  • Juli wird erster. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1996.
  • Juli und die Liebe. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1999.

Illustrationen und Text

  • Abends, wenn ich schlafen geh. München: Carl Hanser 1995.
  • Selma. Oldenburg: Lappan 1997.
  • Die Königin der Farben. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 1998.
  • Ein Engel trägt meinen Hinkelstein. Oldenburg: Lappan 1999.
  • Schreimutter. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg 2000.
  • Opas Engel. Hamburg: Carlsen 2001.
  • Ich sitze hier im Abendlicht. Hildesheim: Gerstenberg 2003. (Hrsg.).
  • Liebespaa… küsst Euch maa…. Hamburg: Carlsen 2005.
  • Ich ging durch die Hölle. Hamburg: Carlsen 2008.
  • Emma wohnt. Hamburg: Carlsen 2009.
  • Emma lacht. Hamburg: Carlsen 2009.
  • Emma weint. Hamburg: Carlsen 2009.
  • Emma isst. Hamburg: Carlsen 2009.
  • Muttishund. Wahre Geschichten. Berlin: Jacoby & Stuart 2010.
  • Steht im Wald ein kleines Haus. Frankfurt am Main: Moritz 2012.
  • Limonade. Hamburg: Aladin 2015.
  • Kater Liam. München: Hanser 2020.
  • Jeppe unterwegs. Berlin: Kibitz 2021.
  • Corona Diaries. Berlin: Kibitz 2021.

Weitere Werke von Jutta Bauer sind auf ihrer Website aufgeführt.

Forschungsliteratur

  • Tabbert, Reinbert: Postmoderne Bilderbücher. In: Dagmar Grenz (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur. Theorie, Geschichte, Didaktik. Didaktik der Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 3. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2010, S. 105-126.

Sonstige Quellen (Fernseh- und Hörspielproduktion)

  • Hollerweger, Elisabeth/Kudlowski, Marc: Bremer Bilderbuch-Gespräche #15: Unterwegs sein (mit Special Guest: Jutta Bauer). In: Dies.: Bremer Bilderbuch-Gespräche, 07.07.2021 [letzter Aufruf: 18.09.2022].

Internetquellen

  • Bauer, Jutta: Website. In: jutta-bauer.info [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Bauer, Jutta: Rede Jugendbuchpreisverleihung, 16.09.2009. In: jutta-bauer.info [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Beltz Verlag: Jutta Bauer. In: beltz.de [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Deutschlandfunk: Die Kinderbuch-Illustratorin Jutta Bauer, 03.11.2012.. In: deutschlandfunk.de [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Gelberg, Hans-Joachim: Wer schreibt, der bleibt, wer zeichnet, auch. In: jutta-bauer.info [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Kinderbuch-Fuchs: Jutta Bauer im Interview. In: kinderbuch-fuchs.de [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Platthaus, Andreas: Jutta Bauer. Königin im Reich der Farben, Mai 2012. In: goethe.de [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Schubiger, Jürg: Gut beschuht und sehr beflügelt. Katalogtext für die Ausstellung Museen Troisdorf und Hamburg. In: jutta-bauer.info [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Schwab, Sylvia: In Farben schwelgen. Am Wasser zuhause. In: jutta-bauer.info [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Tresch, Christine: Warum wir vor der Stadt wohnen. Rezension. In: sikjm.ch [letzter Aufruf: 18.09.2022].
  • Wildeisen, Sarah: Jutta Bauer. In: Kautt, Annette (Hrsg.): Rossipotti-Literaturlexikon, 01/2013 [letzter Aufruf: 18.09.2022].