Lotte Bräuning

geboren 1982 in Stuttgart
Autorin, Illustratorin

 

Helena Trapp
veröffentlicht am 13.07.2022

 

1 Biogramm

Lotte Bräuning wurde 1982 in Stuttgart geboren. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW Hamburg) studierte sie Illustration mit dem Schwerpunkt Kinderbuch (vgl. Thienemann-Esslinger, Lotte Bräuning). Bräuning ist Teil des Künstler*innen-Kollektivs „Krickelkrakels“, das aus einer ehemaligen Projektgruppe der Hochschule hervorgegangen ist und Produkte für ein junges Publikum entwickelt, die zum Kreativwerden einladen. Daneben illustriert sie unter anderem Kalender, Visitenkarten und andere Non-Book-Artikel, Magazine für Kinder sowie Bilderbücher.

Bräuning publizierte Illustrationen bereits in unterschiedlichen Magazinen und Verlagen, darunter auch internationale, wie z. B.: Verlag Friedrich Oetinger, Beltz und Gelberg, Kyowon Publishing, Atlantis Verlag, Topipittori, Papperlapapp Magazin, Geo Mini und Zeit Online (vgl. Bräuning o. J.).

Der folgende Beitrag richtet den Fokus auf ihr Schaffen im kinderliterarischen Bereich.

 

2 Grundzüge des Werkes / Überblick über das Werk

2.1 Die Illustratorin

Schon beim ersten Blick auf die Illustrationen wird deutlich: Lotte Bräuning hat einen ganz eigenen unverwechselbaren, aber durchaus facettenreichen Stil, der entfernt an die künstlerischen Handschriften von Wolf Erlbruch und Sybille Hein erinnert. Meist malt sie zarte bis kräftige Buntstiftzeichnungen auf Aquarell, wobei sie die Farbpalette voll ausschöpft. Ihre Bilder muten sowohl aufgrund einer entsprechenden Farbgebung als auch durch die Motivik größtenteils fröhlich und verspielt an. Nicht selten dienen Naturräume als Hintergrundkulisse und somit als Schauplatz der bildlich dargestellten Handlung. Zu ihren Figuren zählen anthropomorphisierte Tierwesen und menschliche Gestalten, die dem Cartoon-Stil gemäß überspritzt dargestellt sind. In dieser Manier bringt Bräuning mit viel Liebe zum Detail sowohl Realistisches als auch Phantastisches aufs Papier. So lässt sich ihr Opus, das Illustrationen des Grimm’schen Volksmärchen Brüderchen und Schwesterchen bis zur Bebilderung einer Geschichte über eine Opa-Enkel-Wanderung umfasst, schon jetzt als umfangreich bezeichnen.

Durchaus bemerkenswert ist das internationale Wirken Bräunings. So arbeitete sie beispielsweise mit der französischen Autorin Perrine Ledan zusammen, illustrierte ein US-amerikanisches Bilderbuch sowie eine Geschichte in einem mehrsprachigen Kindermagazin und gestaltete zwei koreanische Bilderbücher (vgl. Bräuning o. J.). Zeit-Online schmückte einen Artikel für Kinder zur Europawahl mit einem von Bräunings für Europa demonstrierenden Tieren (vgl. ebd.).

Während die Kalender und Familienplaner mit einem Bildband vergleichbar sind, dienen die Bilder in den faktualen Texten der Sachbilderbücher und Wissensmagazinen für Kinder eher der Veranschaulichung – die Bezeichnung „Illustration“ im wörtlichen Sinne der Übersetzung (von lat. illustrare „erleuchten, preisen“) scheint hier gerechtfertigt.

Demgegenüber stehen die fiktional erzählenden oder narrativen Bilderbücher und Kurzgeschichten Bräunings, für die sich der Begriff, da er die Bilder dem Text gegenüber abwertet, als unzureichend erweist. In diesen multimodalen Texten sind die Bilder jedoch ein geschichtskonstituierendes und sinnbildendes bzw. -tragendes Element. Gerade in Verbindung mit dem Schrifttext eröffnen die scheinbar einfach gestalteten Bilder ein komplexes Spielfeld des Erzählens, dessen reiches synästhetisches Erfahrungspotenzial verschiedene Lesarten anlegen lässt. Da die Bilder in diesen Kontexten alles andere als nur dekoratives Beiwerk sind, sollen sie im Folgenden einer genaueren Betrachtung unterzogen und somit auch in ihrer Bedeutsamkeit gewürdigt werden.

Obschon mit den entsprechenden Medien und Formaten auch ihre Zeichnungen explizit an „Kinder“ adressiert sind, verweigern sich Bräunings Bilder und die mit ihnen entstehenden Gesamtkunstwerke einer Verengung auf eine bestimmte (und vermeintlich homogene) Zielgruppe; die im Wechselspiel von bildlichen und verbalen Codes entstehende Komplexität ist dabei ein erster Hinweis. Weiterhin entbehren Bräunings Bilder trotz ihrer Farbigkeit und Fröhlichkeit jeglicher kindertümlichen und bewahrpädagogischen Tendenzen und sind nicht auf eine naive, an Gegenständlichkeit orientierte bildnerische Einfachheit zu reduzieren.

Sowohl für sich genommen als auch im Zusammenspiel mit dem Schrifttext kommen die Bilder von Lotte Bräuning gewissermaßen selbstbewusst daher. Sie provozieren und irritieren, indem sie sich dem verbal Erzählten widersetzen, dezente Keckheiten zeigen und Leerstellen erzeugen, die die Betrachtenden zum (Über-)Denken anregen. Dabei wirkt nichts verbissen oder belehrend, sondern vielmehr lustig, Grund dafür sind die Irritationsmomente und Brüche, die im Bild-Schrifttext-Zusammenspiel entstehen; sie lassen die Rezipierenden das Absurde und Willkürliche selbst erkennen und im Verlachen zugleich entmachten. Jene subtile Komik verleiht dem Erzählten Leichtigkeit, ohne dabei das Ernsthafte, das durchaus miterzählt wird und/oder „herausgelesen“ werden kann, zu bagatellisieren. So sind die rauchenden Hunde (Haikal/Bräuning 2020) und rüpelhaften und whiskytrinkenden (Möchtegern-)Bärenjäger (Bräuning 2019) in erster Linie harmlos, weil sie gerade durch ihre bildliche Darstellung als komische und somit als liebenswerte bzw. tölpelhafte Figuren, keinesfalls aber als Bedrohung erscheinen. Missstände in der außerliterarischen Realität, auf die in der bildlichen Ebene vereinzelt Anspielungen ausgemacht werden können, werden weder reproduziert noch beklagt. Vielmehr wird ihnen auf undramatische Weise ein Gegenentwurf entgegengesetzt, der zumindest in der erzählten Welt problemlos zu funktionieren scheint.

2.2 Die Illustration und Schriftstellerin

Das Bilderbuch Annie und die Bärenjäger (Bräuning 2019) ist das erste und bislang einzige Bilderbuch, bei dem sowohl die Bilder als auch der Schrifttext von Bräuning selbst stammen. Zum Entstehungsprozess äußert sich Bräuning folgendermaßen:

Bei Annie ging das Schreiben der Geschichte und die Arbeit am Storyboard Hand in Hand. Das finde ich gut, denn ich möchte nicht nur malen, was im Text steht, sondern auch mit den Bildern erzählen. Bei Annie erzählen die Bilder eine ganz eigene Geschichte, im Text wird Annie nicht einmal erwähnt (Atlantis o. J.).

In dieser Westernparodie wird das lange verkannte narrative Potenzial des Bildtextes besonders deutlich. Ein Blick auf die intermodale Dimension lässt erkennen, dass Bild- und Schrifttext zunächst symmetrisch bzw. anreichernd erzählen, ab einem gewissen Punkt allerdings kontrapunktisch, widersprüchlich und schließlich sogar komplementär. Dieses Zusammenspiel erzeugt die spezifische Komik, die ihren Höhepunkt erreicht, wenn die Bildnarration dem Verbalerzählten diametral entgegensteht.

Erzählt wird von Jack, Freddy und Slim, die in einem Saloon bei reichlich Whisky und unter wildem Gebärden einen Schlachtplan aushecken. Ihr Ziel: den Bären zu erlegen, auf den eine hohe Belohnung ausgesetzt ist. Die titelgebende Protagonistin Annie wird mit keinem Wort im Schrifttext erwähnt, sondern erscheint nur im Bild.

Man sieht Annie bedienen, putzen – bis sie plötzlich den Saloon verlässt, … um kurz darauf wieder auf der Bildfläche zu erscheinen – mit dem erlegten, überdimensional großen Bären im Schlepptau.

Das Bild des Erzählschlusses ist mit den Worten „[d]rei Kerlen wie ihnen musste einfach alles gelingen“ (Bräuning 2019, letzte Doppelseite des Erzähltextes) überschrieben, was die starke Ironie begründet. Da es Annie als die eigentliche Bärenjägerin darstellt, steht es auch im Widerspruch zum Titel und zum Selbstbild der Männer, das durch die Bildebene als illusorische Selbstüberschätzung enttarnt wird. An dieser Stelle erzählt das Bild eine eigene Geschichte und ignoriert auf diese Weise die verbale Narration, die auch historisch betrachtet so lange Zeit die Vormachtstellung innehatte. Auf diese Weise kann die Geschichte von der Bärenjagd nicht nur als Spiel mit Geschlechterrollen und -klischees, sondern auch als Emanzipation des Bildtextes gelesen werden.

Durchbrochen werden die Erwartungen also gerade durch die in Augenzwinkern gewandete Irritation, die Komik, die durch das Bild „zwischen den Zeilen“ entsteht. Das diesen Werken inhärente demaskierende und demnach dekonstruktivistische Potenzial verkauft sich dabei nicht als solches. Ausgeschöpft werden kann es nur mittels einer entsprechenden Eigenleistung, die für einen gelingenden Rezeptionsprozess jedoch nicht notwendigerweise erforderlich ist. Aus diesem Grund erscheinen die Werke um so viel wirkungsvoller als eine Moral – sofern man überhaupt nach einer Wirkung fragen möchte. Dass gerade die Bildebene als Quelle für Anspielungen wahrgenommen werden kann, aber nicht muss, konstituiert die Mehrdeutigkeit der Werke und begründet zugleich ihre Mehrfachadressierung. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene werden so zur wiederholten Lektüre eingeladen – sei es, weil es noch immer Neues zu entdecken gibt oder weil die Komik, wenngleich sie vorhersagbar wird, nichts an Originalität und Dynamik einbüßt.

 

3 Rezeption

Bräunings Werk Annie und die Bärenjäger (2019) war im Jahr 2019 für den Serafina-Preis (Preis für Illustration) der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur nominiert (vgl. Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur).

 

Literaturverzeichnis

Primärwerke

Illustration

  • Das Krickel-Krakel-Buch. Bilder zum Weitermalen. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2008.
  • Kenya. Seoul, Südkorea: Kyowon 2009.
  • Das Krickel-Krakel-Buch. Rätsel zum Weitermalen. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2009.
  • Das bewegte Buch. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2010.
  • Il Viaggio die Adele. Text von Perrine Ledan. Mailand: Topipittori 2010.
  • Das Krickel-Krakel-Buch. Mehr Bilder zum Weitermalen. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2010.
  • Schlafen gehen. Text von Martin Auer. Weinheim: Beltz & Gelberg 2011.
  • Lison ha paura. Text von Perrine Ledan. Mailand, Italien: Topipittori. 2012.
  • Das Krickel-Krakel-Bastelbuch. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2012.
  • Die Krickel-Krakel-Malschule. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2013.
  • Krickel-Krakel-Minis. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2014.
  • Das Rüttel-Schüttel-Puste-Buch. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2015.
  • Tales from the World/Germany: Grimm’s Brüderchen und Schwesterchen. Seoul, Südkorea: Kyowon 2016.
  • Das bewegte Buch. Die Zick-Zack-Zeitreise. Zusammen mit Krickelkrakels. Hamburg: Friedrich Oetinger 2019.
  • Florian fliegt. Text von Mustafa Haikal. Fortsetzungsgeschichte In: Gecko (Zeitschrift für Kinder), Nr. 77-79. München: Rathje & Elbel GbR 2020.
  • Früh los. Text von Daniel Fehr. Stuttgart: Thienemann-Esslinger 2021.

 

Text und Illustration

  • Annie und die Bärenjäger. Zürich: Atlantis (Orell Füssli) 2019.

Internetquellen