Cornelia Funke

geboren am 10. Dezember 1958 in Dorsten, Nordrhein-Westfalen
Deutsche Autorin und Illustratorin von Kinder- und Jugendromanen sowie Bilderbüchern. Da Cornelia Funke einige Jahre in Kalifornien gelebt hat, sind inzwischen auch Texte von ihr im Original auf Englisch erschienen.

Dr. Lena Hoffmann
veröffentlicht am 03.04.2022

 

1 Biogramm

Cornelia Maria Funke wird 1958 in Dorsten geboren. Nach einem Studium der Soziologie und Sozialpädagogik in Hamburg arbeitet Funke zunächst als Sozialpädagogin. Neben ihrer pädagogischen Tätigkeit beginnt Funke 1982 ein Studium der Buchillustration an der Hochschule für Gestaltung in Hamburg. Das Illustrieren zahlreicher Bücher für Kinder und Jugendliche – unter anderem für Rowohlt und den Arena Verlag – bringt Cornelia Funke schließlich selbst zum Schreiben für junge Menschen. Ihrem Schreiben eigener kinder- und jugendliterarischer Erzähltexte ging die Arbeit an einzelnen Drehbüchern für die Kinderfernsehserie Siebenstein voran.

Cornelia Funke ist heute eine der bekanntesten Autorinnen von Kinder- und Jugendliteratur. Ihr Werk umfasst Bilderbücher genauso wie Romane für Kinder und Jugendliche und solche, die sich an ein Mehrgenerationenpublikum richten und der Gruppe der Crossover-Romane zuzuordnen sind. Auch bezüglich der Genres bedient Funke ein weites Feld: Die populäre Serie Die Wilden Hühner vereint beispielsweise Elemente des Abenteuerromans mit Motiven des Coming of Age, eine Vielzahl anderer Texte ist unterschiedlichen Spielarten der Phantastik gewidmet. Viel öffentliche Aufmerksamkeit wird in den vergangenen Jahren ihren transmedialen Erzählexperimenten zuteil; die Reckless-Serie wird von einer App begleitet, 2019 erschien die literarische Adaption des Films Pans Labyrinth aus dem Jahr 2006, in Kooperation mit dem Regisseur Guillermo del Toro.

 

2 Überblick über das Werk

Cornelia Funke hat bis heute weit mehr als 60 Romane und Bilderbücher veröffentlicht. Die folgende Darstellung kann deswegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern lediglich beispielhaft solche Texte vorstellen, an denen sich das besondere Erzählen Cornelia Funkes verdeutlichen lässt.

2.1 Die realistische Serie: Die wilden Hühner

Das serielle Erzählen lässt sich für die Kinderliteratur bis ins 18. Jahrhundert rückverfolgen (vgl. Dettmar 2020, S. 138) und gehört in einer Vielzahl an Genres und Medien zu den Erfolgsformaten der Kinder- und Jugendliteratur (vgl. Dettmar 2020, S. 137). Auch in Cornelia Funkes Werk nehmen Serien eine zentrale Stellung ein. Mit Die wilden Hühner hat Cornelia Funke eine sechsbändige kinder- und jugendliterarische Romanserie vorgelegt, die, anders als der ganz überwiegende Teil ihrer literarischen Texte, keine Elemente des Phantastischen integriert und rein dem realistischen Erzählen verpflichtet ist. Von kinder- und jugendliterarischer Serie muss deshalb zu sprechen sein, weil die zu Beginn kinderliterarischen Texte im Laufe der Jahre mehr und mehr Elemente und vor allen Dingen Themen des jugendliterarischen Erzählens aufgreifen. So sind beispielsweise die Protagonistinnen im ersten Band Die wilden Hühner (2001) neun Jahre alt, im vorerst letzten Band dann etwa 15 Jahre alt. Das Mitwachsen der Rezipientinnen und Rezipienten ist in diesem seriellen Erzählformat also quasi mitangelegt – so wie man es auch von Joanne K. Rowlings Harry Potter-Romanserie kennt.

Im Zentrum der Serie steht die Mädchenbande, bestehend aus den Figuren Charlotte (genannt Sprotte), Frieda, Melanie, Trude und Wilma, die gemeinsam allerlei Abenteuer erlebt. Dabei steht die Freundschaft der Mädchen stets im Zentrum der Erzählungen, aber auch die teils schwierigen Familienverhältnisse, aus denen sie stammen, finden Erwähnung. Mit Fortschreiten der Serie wird auch das erste Verliebtsein thematisiert. Kerstin Böhm erkennt in den Romanen in ihrer Studie Archaisierung und Pinkifizierung (2017) sowohl die Tradition des emanzipatorischen Mädchenbuchs als auch postmoderne Tendenzen (vgl. Böhm 2017, S. 98).

Wegen ihres Genres sticht die Serie deutlich aus Cornelia Funkes Werk hervor und gehört gleichzeitig (zumindest im deutschsprachigen Raum) zu ihren populärsten Publikationen, deren Erfolg durch die filmischen Adaptionen noch bestärkt wird.

2.2 Phantastik im Bilderbuch

Beispielhaft für Cornelia Funkes Bilderbuchschaffen soll hier Der Mondscheindrache (1996) diskutiert werden, weil die Phantastik in verschiedenen Erzählformen das Herzstück von Funkes Werk ausmacht. Das Bilderbuch liegt inzwischen sowohl in einer Ausgabe mit Illustrationen der Autorin als auch mit Illustrationen von Annette Swoboda vor, die auch weitere Bilderbücher von Funke illustriert hat. Das Buch mit Bildern, die sich weit über jede Doppelseite erstrecken, erzählt die Geschichte von Philipp, in dessen Zimmer eines Abends urplötzlich ein kleiner Drache und ein kleiner Ritter aus dem Buch, das Philipp gerade liest, auftauchen. Kaum berührt er den Ritter, da schrumpft auch Philipp auf Miniaturgröße herab. Gemeinsam mit dem Drachen verbannt Philipp den angriffslustigen Ritter zurück ins Buch, der Drache aber versucht sein Glück in einer anderen Geschichte.

Das hier thematisierte Verwischen von Fiktion und Realität wird von den Illustrationen von Annette Swoboda aufgegriffen. So gehört der die Illustrationen umgebende Weißraum auf der ersten Doppelseite, also vor Erscheinen von Drachen und Ritter, noch gänzlich dem Schrifttext. Diese deutlich gezogene Grenze wird dann im Weiteren aber immer mehr überschritten, der Drache landet aus dem innerdiegetischen Buch direkt auf eben jenem Weißraum und im Fortgang der Handlung überwuchern die Illustrationen die Doppelseiten in Gänze. Mit Auftauchen des Drachen wird illustratorisch die Einheit von innerdiegetischem Buch und dem Bilderbuch, was wir als Leserinnen und Leser in Händen halten, betont. Die Leserinnen und Leser werden also in dieses Spiel zwischen Fiktion und Realität miteinbezogen – ein Verfahren, das aus Michael Endes Die unendliche Geschichte bekannt ist und im Folgenden auch für Cornelia Funkes Tintenherz erläutert werden wird.

2.3 Funkes kinderliterarische Phantastik

Finden sich zwar mit den Romanen um die wilden Hühner, aber auch mit Texten wie beispielsweise Greta und Eule, Hundesitter (1995) oder Hände weg von Mississippi (1997) auch solche Publikationen, die dem realistischen Erzählen verpflichtet sind, so erweist sich die Phantastik doch auch im Bereich der Kinderromane als das am meisten bespielte Genre der Autorin und damit als Herzstück ihres Werks. Besonders hervorzuheben sind hierbei beispielsweise, auch wegen ihres starken weiblichen Figurenarsenals, die beiden Kinderromane Zwei wilde kleine Hexen (1994) und Igraine Ohnefurcht (1998). Als besondere Konstruktion im Kontext der phantastischen Literatur soll hier jedoch zunächst Herr der Diebe (2000) vorgestellt werden.

Der Roman spielt in Venedig, einer Stadt, die als magischer Sehnsuchtsort inszeniert wird, an dem Kinder der Welt entfliehen können:

Die Gassen, durch die sie kamen, wurden enger. Still wurde es zwischen den Häusern, und bald waren sie im verborgenen Herzen der Stadt, wo man nur selten auf Fremde stieß. Katzen huschten davon, als sie die Schritte der Kinder hörten. Tauben gurrten von den Dächern, und unter hundert Brücken schwappte das Wasser, leckte an Booten und hölzernen Pfählen und zeigte den Häusern ihre alten Gesichter in seinem schwarzen Spiegel. Tiefer und tiefer hinein in das Gewirr der Gassen liefen die Kinder, an Häusern vorbei, die so dicht standen, als beugten sie sich über sie wie Wesen aus Stein, die sie um ihre Füße beneideten (Funke 2014, S. 22).

Hierhin sind Prosper und sein Bruder Bo geflohen, weggelaufen vor Onkel und Tante, die die beiden voneinander trennen wollten. Die Brüder finden Unterschlupf bei einer Gruppe von Kindern, die auf sich gestellt in einem alten Kino leben. Bis hierher wird mit der Illusion einer realistisch gestalteten Diegese als literarischem Effekt nicht gebrochen. Doch mit dem Konflikt, in den die Kinderbande verwickelt ist, kommt das phantastische Element ins Spiel: Auf einem ihrer Raubzüge finden die Kinder auf einer scheinbar verlassenen Insel ein altes Karussell; wer darauf fährt, der wird entweder von einem Kind zu einem Erwachsenen oder von einem Erwachsenen zu einem Kind. Cornelia Funke offenbart hier ein Interesse an einem Verwischen von Altersgrenzen, an der sozialen Konstruktion von Alter, das sich in späteren Texten wiederfinden lässt.

Zwei wilde kleine Hexen erzählt die Geschichte der beiden Freundinnen Lilli und Rosanna, die für ihre Begeisterung für die Hexerei mit dem Auftauchen einer richtigen Hexe, Elfriede, belohnt werden. Funke bearbeitet hier eine Vielzahl an Topoi und Motiven der reichen Tradition von Hexenerzählungen und Märchen und passt sie kinderliterarischen Konventionen an. So wird aus der Walpurgisnacht in der kindlichen Stimme der Protagonistinnen die „Fallpurkisnacht“ (Funke 1995, S. 11) und Lillis blonde Haare müssen erst einmal rot gefärbt werden, um „hexenmäßig“ (Funke 1995, S. 19) auszusehen. Interessant ist die hier gezeigte Spielart kinderliterarischer Phantastik, die Emer O’Sullivan mit Bezug auf Maria Nikolajeva als Modell einer implizierten sekundären Welt beschreibt:

In einer Alltagswelt tritt eine phantastische Figur oder ein phantastisches Requisit (Gegenstand oder Erscheinung) aus einem anderen Handlungskreis auf. Diese bewirken einen durchgängigen Kontrast zwischen dem Alltäglichen und dem Unmöglichen, der mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann (O’Sullivan 2003, S. 8).

So ist auch die Hexe Elfriede ein Kontrastbild der über Geschichten erlernten Vorstellungen von Hexen der Mädchen Lilli und Rosanna. Statt roter Haare und Schmuck sitzt da auf einmal eine Frau mit grauen Haaren bis zur Hüfte und einem kleinen Bauch vor ihnen, wehrhaft erweist sich Elfriede direkt über ihren Dolch im Gürtel (vgl. Funke 1995, S. 31). Die resolute Elfriede wird zur Vorbildfigur, zur Lehrerin, die die Freundinnen in die Geheimnisse der Hexenkunde einweist und dabei vor allen Dingen als Heilkundlerin inszeniert wird. Der Text arbeitet sich also an topischen Darstellungen von Hexen ab, geht aber auch selbst nicht über solche konventionellen Vorstellungen hinaus.

Solcherart Erzähltraditionen werden auch in Igraine Ohnefurcht aktualisiert. Igraine, die zehnjährige Protagonistin des Kinderromans, lebt mit ihrer Familie auf Burg Bibernell – alle Familienmitglieder, außer Igraine, können zaubern. Dass Igraine nicht zaubert, liegt aber weniger an mangelndem Können als an mangelndem Interesse; Igraine will Ritterin sein. In Igraine findet sich also eine Heldin, die mit Geschlechterstereotypen aufräumt. Sie rettet am Ende nicht nur die versehentlich in Schweine verwandelten Eltern, sondern die ganze Burg vor dem schrecklichen Gilgalad, an ihrer Seite eine Figur, die sich, aus Erzähltraditionen des Heldenromans speist, wie die Hexe Elfriede mit dieser topischen Figurenkonstruktion aber bricht: der Traurige Ritter. Der nach dem Modell einer geschlossenen sekundären Welt (vgl O’Sullivan 2003, S. 8) konzipierte phantastische Text integriert unterschiedliche Elemente des Märchens, verweist auch wiederholt auf Märchen, wie beispielsweise das „Dornröschen“(Funke 1998, S. 59). Märchen, das wird sich noch herausstellen, sind zentral für Funkes literarisches Schaffen. Für die Autorin sind Märchen immer auch eine Reise in die Vergangenheit: „Unsere Märchen sind eine Zeitreise ins vorindustrielle Deutschland.“ (Funke/Spreckelsen 2021, S. 9).

In der Reihe der (eher) kinderliterarischen phantastischen Texte soll ein besonders populärer Text nicht unerwähnt bleiben, der aber im Gegensatz zu Zwei wilde kleine Hexen und Igraine Ohnefurcht die Geschichte eines männlichen Protagonisten erzählt. Die Rede ist von Drachenreiter (1997), einem Roman, der erst viele Jahre später mit Die Feder eines Greifs (2016) einen Folgeband erhält, dem ganz aktuell, im Oktober 2021, ein weiterer Band gefolgt ist: Der Fluch der Aurelia. Drachenreiter gehört damit zu Cornelia Funkes phantastischen Serien, die im folgenden Kapitel anhand jugendliterarischer Texte näher beleuchtet werden.

Der erste Band erzählt vom Jungen Ben, dem Drachen Lung und der Kobolddame Schwefelfell. In der Beziehung zwischen Ben und Lung klingt der Verweis auf Michael Endes Die unendliche Geschichte und die Beziehung zwischen Atréju und dem Glücksdrachen Fuchur an.

Das Tal der Drachen droht von den Menschen entdeckt zu werden, die den Drachen schon zuvor jeglichen Lebensraum genommen haben. Lung bricht deshalb zum Saum des Himmels auf und findet dort, mit Bens und Schwefelfells Hilfe, nicht nur einen neuen Lebensraum für die Drachen, sondern auch unzählige Artgenossen. Die sekundäre, phantastische Welt ist hier in eine Welt integriert, die der uns Leserinnen und Leser umgebenden Realität ähnelt, sie muss aber im Verborgenen bleiben. Funke äußert mit Drachenreiter deutlich Kritik an den Industrienationen, die den nichtmenschlichen Lebewesen jeden Raum zum Leben nehmen. Ben steht als Kind hier für die Hoffnung auf Erneuerung, er ist der kleine Mensch in der großen Stadt (vgl. Funke 1997, S. 29), einer, der sich noch nichts hat zu Schulden kommen lassen, ein Außenseiter, der mit dem Feindbild Mensch nichts weiter gemein hat als seine Physiognomie: „,Er riecht kein bisschen nach Mensch!‘, knurrte Schwefelfell.“ (Funke 1997, S. 32)

2.4 Die phantastischen Serien

Wie schon anhand der Wilden Hühner gezeigt, nehmen Serien in Funkes Werk eine zentrale Stellung ein. Ihre Romane rund um die Tintenwelt haben ihr zu weltweitem Ruhm verholfen und sind auch die Texte, mit denen sich die Forschung bislang am meisten auseinandergesetzt hat. Lange Zeit war die Rede von der Tintentrilogie mit den Bänden Tintenherz (2003), Tintenblut (2005) und Tintentod (2007), inzwischen aber folgte im Jahr 2020 mit Die Farbe der Rache der vierte Teil – zumindest in Auszügen, denn als Reaktion auf die Corona-Pandemie hat die Autorin entschieden, einige Kapitel vorab als Hörbuch zu veröffentlichen. Der Roman selbst soll im Herbst 2021 bei Dressler erscheinen.

Die Serie erzählt von Meggie und ihrem Vater Mortimer, genannt Mo. Mo ist Buchbinder und beide sind wahre Bücherliebhaberinnen und -liebhaber. Von Meggies Mutter erfahren die Leserinnen und Leser über weite Teile des ersten Bandes nur das eine: dass sie nicht da ist. Mit dem plötzlichen Auftauchen der Figur Staubfinger wird dieses Geheimnis jedoch nach und nach aufgedeckt: Mo ist ein begnadeter Vorleser, eine sogenannte Zauberzunge, und hat Staubfinger und weitere Figuren aus einem Roman heraus und Meggies Mutter in denselben Roman hineingelesen. Dieser Roman heißt „Tintenherz“. Funke greift hier also das spätestens seit Michael Endes Die unendliche Geschichte (1979) in der Kinder- und Jugendliteratur extrem beliebte Buch-im-Buch-Motiv auf. Zur Unendlichen Geschichte weisen die Tintenwelt-Romane jedoch einen wesentlichen strukturellen Unterschied auf: Die Grenzen zwischen der primären und der sekundären Welt – also zwischen der alltäglich-realistischen und der räumlich und/oder zeitlich abgesonderten phantastischen Welt – (vgl. O’Sullivan 2003, S. 8) sind in beide Richtungen offen und so spielen die Romane dann auch ab dem zweiten Band in der Tintenwelt, in die Meggie und Mo hinübertreten und in der sie sich dann auch schlussendlich entscheiden, zu bleiben.

Die Tintentrilogie ist eine Liebeserklärung an die Welt der Literatur, an das Medium Buch auch in seiner Materialität. Die Buchbinderei wird, an die Figur Mo gebunden, als Kunst- und Handwerk zugleich inszeniert, über weite Strecken steht die Materialität der Bücher auf beschreibender Ebene mehr im Fokus als ihre Erzählungen. Der spannende Plot der Tintentrilogie hebt diese scheinbare Gewichtung der Materialität dann natürlich wieder auf, wohl aber spiegeln Handlung und tatsächliche Bücher, die wir als Leserinnen und Leser in den Händen halten, sich wechselseitig – auch dies ein von der Unendlichen Geschichte bekanntes Verfahren. So heißt es beispielsweise in Tintenherz:

„Ja, das ist eine wunderbare Geschichte.“ Mo drehte ihr wieder den Rücken zu. Er hob die Mappe auf den Tisch, in der er seine Vorsatzpapiere aufbewahrte, und blätterte abwesend darin herum. „Jedes Buch sollte mit so einem Papier beginnen“, hatte er mal zu Meggie gesagt. „Am besten mit einem dunklen: dunkelrot, dunkelblau, je nachdem, wie der Einband des Buches ist. Wenn du dann das Buch aufschlägst, ist es wie im Theater: Erst ist da der Vorhang. Du ziehst ihn zur Seite, und die Vorstellung beginnt“ (Funke 2003, S. 67).

Die tatsächlichen Bücher folgen dieser Beschreibung, Leserinnen und Leser werden so in das Spiel mit Realität und Fiktion miteinbezogen. Die Einbände und auch die Illustrationen der Autorin evozieren Assoziationen an mittelalterliche Buchmalerei und auch die Ausgestaltung der Diegese von „Tintenherz“ folgt – wie es häufig vorkommt in der phantastischen und Fantasy-Literatur – einem romantisierten Mittelalterbild, wie es Christine Lötscher beschreibt (vgl. Lötscher 2014, S. 110).

Der Liebeserklärung an die Literatur sind auch die vielen intertextuellen Verweise in der Romanserie verpflichtet. Die unendliche Geschichte als zentraler Intertext wurde schon genannt, überdies tragen die Texte durch ihre strukturelle und generische Anlage zahlreiche Spuren der Phantastiktradition in sich. Neben zahlreichen innerdiegetischen direkten Verweisen auf andere Texte ist jedem Kapitel ein Zitat aus einem literarischen Text – im Sinne eines Mottos – vorangestellt. Interessant ist hierbei die Diversität der Texte, die in die jeweiligen Kapitel einführen. Es wird von Paul Celan über William Shakespeare und Oscar Wilde auf Autorinnen und Autoren der sogenannten Hochkultur genauso verwiesen wie auf Klassiker der Phantastik wie Tolkiens Lord of the Rings oder C. S. Lewis’ The Chronicles of Narnia und solche der Kinder- und Jugendliteratur, vertreten durch Autorinnen und Autoren wie Robert Louis Stevenson, Rudyard Kipling, Erich Kästner und J.K. Rowling. Hier deutet sich an, dass die Tintenromane mehr sein wollen als ‚nur‘ Jugendliteratur, sie wollen sich einreihen in die illustre Aufzählung der berühmten Namen und Publikumsgrenzen überschreiten. Tatsächlich kann die Romanserie zur sogenannten Crossover-Literatur gezählt werden, jener Literatur also, die die gesellschaftlich gezogene Grenze zwischen Kinder- und Jugendliteratur und Allgemeinliteratur überschreitet (vgl. Hoffmann 2018, S. 139) und die als mehrfachadressierte Literatur ein Mehrgenerationenpublikum erreicht. Das Überschreiten von Altersgrenzen, das in Herr der Diebe über das Motiv des Karussells einen entscheidenden Teil des Narrativs darstellt, findet sich hier wieder in der tatsächlichen altersübergreifenden Rezeption der Romanserie.

Diese Eigenschaft teilen die Tintenromane mit der Reckless-Serie. Diese bislang vier Bände umfassende Romanserie folgt der Idee einer Adaption der Märchen aus aller Welt. So verarbeitet der erste Band Reckless – Steinernes Fleisch (2010) Märchen aus den Sammlungen der Gebrüder Grimm, der zweite Band Reckless – Lebendige Schatten (2012) ist Märchen aus dem weiteren europäischen Raum gewidmet, der dritte Band Reckless – Das goldene Garn (2015) überwiegend solchen aus Russland und der vierte Band Reckless – Auf silberner Fährte (2020) führt in asiatische Märchentraditionen ein. Cornelia Funke hat angekündigt, noch mindestens einen weiteren Reckless-Roman herauszubringen. Auch Reckless folgt, wie die Tintenwelt-Romane, der Zwei-Welten-Struktur. Autorinnenseitig wird dabei sogar die Einheit der sekundären, phantastischen Welt in den Tintenwelt– und Reckless-Serien betont: „Prinzipiell ist es dieselbe Welt, nur 500 Jahre später.“ (Funke/Spreckelsen 2021, S. 9) Im ersten Band der Reckless-Romane folgen wir dem 12jährigen Jacob in die Welt hinter den Spiegeln, dort existieren die Figuren der Grimmschen Märchen, der Zustand der Welt aber ist alles andere als ,märchenhaft‘. Jacob wird für viele Jahre zum Wandler zwischen den Welten, bis ihm sein jüngerer Bruder Will eines Tages dorthin folgt. Will wird angegriffen, weshalb ihm langsam eine Haut aus Jade, steinernes Fleisch, wächst. Die Romanserie über zwei voneinander getrennte und doch miteinander verbundene Welten ist also ganz wesentlich auch eine Erzählung über zwei Brüder.

Die Romanserie entstand aus einer Kooperation mit dem Filmproduzenten Lionel Wigram; auch wenn aus dem ursprünglich geplanten gemeinsamen Drehbuch nichts wurde, inspirierte diese Zusammenarbeit Funke doch zu ihren Reckless-Romanen (vgl. Zamolska 2015). Dieser Zusammenarbeit mit Filmschaffenden ist Funke im Folgenden weiter nachgegangen, was noch zu zeigen sein wird. Große Aufmerksamkeit bekam Cornelia Funke für diese Romanserie auch deshalb, weil sie den Romanen relativ schnell eine App zur Seite gestellt hat. So erschien aus einer Kooperation mit Guillermo del Toros und Matthew Cullens Mirada Studios schon 2013 die App „Mirrorworld“. Rezipientinnen und Rezipienten können mithilfe dieser App die Spiegelwelt selbst betreten und erkunden. Funke schafft dadurch nicht nur ein besonderes und immersives Rezeptionserlebnis, sondern beginnt vor allen Dingen auch, die Möglichkeiten transmedialen Erzählens auszuloten.

2.5 Zusammenarbeit mit dem Film: Das Labyrinth des Fauns

2019 erscheint Pan’s Labyrinth: The Labyrinth of the Faun. Der Roman ist also im Original englischsprachig, 2019 erscheint dann aber auch die deutschsprachige Version Das Labyrinth des Fauns, übersetzt von Tobias Schnettler und publiziert nicht in Cornelia Funkes Haus und Hof-Verlag Dressler, sondern beim Fischer Verlag. In diesem Roman fließen einige Prinzipien Funkes künstlerischen Schaffens zusammen, die sich im Vorigen schon angekündigt haben. Das Labyrinth des Fauns ist auch ein phantastischer Roman und einer, der ganz wesentlich märchenhafte Elemente inkorporiert. Mit der englischsprachigen Erstpublikation inszeniert Funke sich konkret als Player auf dem englischsprachigen Literaturmarkt. Vor allen Dingen aber bestätigt sie hier ihr Interesse an transmedialen Erzählprojekten und an solchen Texten, die sich an ein altersübergreifendes Publikum richten. Das Labyrinth des Fauns nämlich ist die literarische Adaption von Guillermo del Toros Film El laborinto del fauno, im Englischen Pans Labyrinth aus dem Jahr 2007. Guillermo del Toros Film setzt zwar eine kindliche Protagonistin, Ofelia, und ihr Erleben in sein Zentrum, gehört aber sicher nicht dem System der Kinder- und Jugendmedien an. Für ihren Roman, der in Kooperation mit del Toro entstand, ergänzt Funke diese Geschichte um den Spanischen Bürgerkrieg und seine grausame Spiegelung in der kindlichen Phantasie um einige Elemente, die den Text stärker in kinder- und jugendliterarischen Konventionen verankern, ohne aber die im Film dargestellte und atmosphärisch gezeichnete Grausamkeit völlig auszusparen. So wird dem Romantext beispielsweise ein Prolog vorangestellt, der zwar auch dem Film entstammt, aber schon stärker ankündigt, dass das Setting des Spanischen Bürgerkriegs mit Märchenelementen versetzt wird:

Vor langer, langer Zeit, so heißt es, lebte in einem unterirdischen Reich, in dem es weder Lügen noch Schmerz gab, eine Prinzessin, die von der Welt der Menschen träumte. Prinzessin Moana träumte von einem strahlend blauen Himmel und einem endlosen Meer aus Wolken; sie träumte von der Sonne und dem Gras und dem Geschmack des Regens … Eines Tages entkam die Prinzessin ihren Wächtern und gelangte in unsere Welt. Schon bald löschte die Sonne all ihre Erinnerungen, und sie vergaß, wer sie gewesen und woher sie gekommen war. Sie wanderte umher, litt Kälte, Krankheit und Schmerz. Und schließlich starb sie. Ihr Vater, der König, hörte nie auf, nach ihr zu suchen. Er wusste, dass ihre Seele unsterblich war, und hoffte, sie würde eines Tages zu ihm zurückkehren. In einem anderen Körper, einer anderen Zeit. Vielleicht an einem anderen Ort. Er würde warten. Bis zu seinem letzten Atemzug. Bis ans Ende der Zeit. (Funke 2019, S. 9)

Der darauf antwortende Epilog legt Leserinnen und Lesern dann nahe, dass der Tod des Mädchens Ofelia am Ende der Geschichte nur in der primären, nicht aber in der sekundären Welt Bestand hat:

Und es heißt, dass Prinzessin Moana ins Königreich ihres Vaters zurückkehrte und dort viele Jahrhunderte lang gerecht und voller Güte herrschte. Dass sie von ihrem Volk geliebt wurde und oben auf der Erde Spuren ihrer Zeit dort hinterließ, die nur für die sichtbar sind, die wissen, wie man nach solchen Spuren Ausschau hält. (Funke 2019, S. 320)

Zwar wird nie eindeutig aufgelöst, ob das unterirdische Königreich nur in Ofelias Imagination existiert oder sie eben doch tatsächlich die Reinkarnation der Prinzessin Moana ist, doch legt der Roman doch sehr viel deutlicher als der Film nahe, dass Leserinnen und Leser hoffen dürfen und Ofelia weiter – und vor allen Dingen glücklich weiter – lebt. Der Roman, der schon durch den Film, den er adaptiert, als Grenzgänger zwischen dem kinder- und jugendliterarischen und dem allgemeinliterarischen System fungiert, bleibt damit doch stärker dem kinder- und jugendliterarischen Topos des „Happy End“ verhaftet.

 

3 Cornelia Funke medial adaptiert

Dass Cornelia Funke neben literarischen Texten auch an anderen Medien interessiert ist, davon zeugt die Mirrorworld-App und auch die Zusammenarbeit mit Guillermo del Toro. Insbesondere auch dem Hörbuch kommt in ihrem Werk eine besondere Bedeutung zu. Zusammen mit dem Hörbuchproduzenten Eduardo García hat sie das Label „Atmende Bücher“ gegründet, unter dem die Hörbuchadaptionen ihrer Texte erscheinen. Mittels dieses Labels war es auch möglich, vor Publikation des eigentlichen Buches schon Ausschnitte aus Die Farbe der Rache als Hörbuch zu veröffentlichen. Ihrer Faszination für das Vorlesen hat die Autorin ja auch mit den „Zauberzungen“ in ihren Tintenwelt-Romanen Ausdruck verliehen.

Und auch im Film kann man Cornelia Funkes Stoffen vielfach begegnen. So kam Herr der Diebe 2005 in die Kinos, dicht gefolgt von Die wilden Hühner (2006) und Die wilden Hühner und die Liebe (2007) und Hände weg von Mississippi (ebenfalls 2007). Tintenherz aus dem Jahr 2008, mit einer Starbesetzung aus unter anderem Brendan Fraser als Mo, blieb als eher mäßiger Erfolg weit hinter sowohl den Erwartungen der Filmproduzentinnen und -produzenten als auch der Autorin (wenn auch auf anderer Ebene) zurück, sodass die Fortsetzung der filmischen Adaption der Romanserie auch bis heute auf sich warten lässt. In die Forschung aber hat der Film sehr wohl Einzug gehalten. So arbeitet beispielsweise Saskia Heber heraus, dass der Film sehr explizit Verweise zum Nationalsozialismus setzt (vgl. Heber 2011, S. 360), während das Unterdrückungssystem um Capricorn im Roman zwar durchaus als faschistisches erkennbar, aber mit keiner bestimmten realhistorischen Zeit markiert ist.

2009 folgte Die wilden Hühner und das Leben, der aber nur noch lose auf Funkes Romanen beruht und die Filmreihe fortsetzt, und 2015 Gespensterjäger – Auf eisiger Spur.

Der Kinderroman Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel (2001) wurde gleich zwei Mal für die Kinos adaptiert: 2011 unter der Regie von Oliver Dieckmann und im Jahr 2017 dann als Puppenspielfilm durch die Augsburger Puppenkiste. 2020 erschien mit Drachenreiter die erste richtige Animationsfilm-Adaption von einem Roman Cornelia Funkes.

 

4 Rezeption

Cornelia Funke ist vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, in der Kategorie „Sonderpreis Gesamtwerk“. In der Begründung der Jury heißt es:

Cornelia Funke überzeugt in ihren Bilderbüchern mit starken und pfiffigen Heldinnen und Helden, die gerne unkonventionelle Wege gehen. In ihren Kinderbüchern beeindruckt sie mit einem großen Variantenreichtum, egal ob reales Abenteuer oder phantastische Geschichten für Jüngere. Für Jugendliche hat sie narratologisch komplexe und spannende Texte geschaffen. In diesen sind die harmonischen Übergänge zwischen der von ihr detailliert kreierten Phantasiewelt und der realen Welt besonders glaubhaft. (Arbeitskreis Jugendliteratur 2020)

Vor allem in dieser Diversität im literarischen Schaffen liegt es wohl begründet, dass Cornelia Funke als erfolgreichste deutschsprachige Autorin von Kinder- und Jugendliteratur gilt und auch, dass sich die literatur- und medienwissenschaftliche Forschung intensiv mit ihrem Werk auseinandersetzt. Bei genauerem Hinsehen lassen sich in Funkes Werk jedoch Leitlinien ausmachen, Grundprinzipien ihres Schreibens. Dazu gehören neben der Phantastik und insbesondere auch dem Märchen die konzeptionelle Orientierung an audiovisuellen Medien, das transmediale Erzählen, sowie das Interesse an der sozialen Konstruktion von Alter.

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur (Auswahl, chronologisch)

  • Zwei wilde kleine Hexen. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 1994.
  • Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 1997.
  • Igraine Ohnefurcht. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 1998.
  • Die wilden Hühner. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 2001.
  • Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 2003.
  • Reckless – Steinernes Fleisch. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Dressler 2010.
  • Herr der Diebe. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg: Oetinger Taschenbuch 2014 (EA 2000).
  • und Guillermo del Toro: Das Labyrinth des Fauns. Aus dem amerikanischen Englisch von Tobias Schnettler. Mit Bildern von Allen Williams. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2019.
  • Der Mondscheindrache. Mit Illustrationen von Annette Swoboda. Bindlach: Loewe 2021 (EA 1996).

Forschungsliteratur und andere Quellen

  • Böhm, Kerstin: Archaisierung und Pinkifizierung: Mythen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kinder- und Jugendliteratur. Bielefeld: transcript 2017.
  • Dettmar, Ute: Serielles Erzählen. In: Tobias Kurwinkel/Philipp Schmerheim (Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendliteratur. Stuttgart: Metzler 2020, S. 137-144.
  • Spreckelsen, Tilmann: Märchen sind Zeitmaschinen. Cornelia Funke im Gespräch. In: FAZ 11.01.2021, S. 9.
  • Heber, Saskia: Selbstreferenzielle, intertextuelle und mythische Strukturen in Cornelia Funkes Tinten-Trilogie. In: Carsten Gansel/Pawel Zimniak (Hrsg.): Zwischen didaktischem Auftrag und grenzüberschreitender Aufstörung? Zu aktuellen Entwicklungen in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. Heidelberg: Winter 2011.
  • Hoffmann, Lena: Crossover. Mehrfachadressierung als Sprache intermedialer Popularität. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung 2018, S. 137-150.
  • Lötscher, Christine: Das Zauberbuch als Denkfigur. Lektüre, Medien und Wissen in zeitgenössischen Fantasy-Romanen für Jugendliche. Zürich: Chronos 2014.
  • O’Sullivan, Emer: Phantastische Kinder- und Jugendliteratur. Wien: STUBE 2003.

Internetquellen

  • Jurybegründung Deutscher Jugendliteraturpreis – Sonderpreis. In: jugendliteratur.org, 2020 [letzter Aufruf: 19.10.2021].