Stephan Knösel

geboren am 28. Oktober 1970
Schriftsteller und Drehbuchautor im Bereich Kinder-, Jugend- und Allgemeinliteratur

Dr. Iris Schäfer
veröffentlicht am 14.05.2021

 

1 Biogramm

Nach dem Abitur arbeitete Knösel fast die gesamten 1990er Jahre in einer Videothek, was es ihm ermöglichte, sich seiner Affinität für Filme zu widmen. Nebenbei schrieb er und drehte Video-Kurzfilme. Im Jahr 2000 erhielt er ein Stipendium von der Drehbuchwerkstatt der Hochschule für Fernsehen und Film und nahm dort sein Studium auf. Bereits kurze Zeit darauf unterschrieb er seinen ersten Vertrag als Drehbuchautor. Seitdem war und ist er an zahlreichen Produktionen beteiligt. Beispielsweise adaptierte er gemeinsam mit Maurus vom Scheidt Friedrich Anis Jugendbuch Wie Licht schmeckt, und mit Rüdiger Nüchtern die Melodramen Tauerngold und Glashimmel für den BR und ORF. Zudem arbeitet er als Ghostwriter für andere Filmschaffende.

Im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur erregte er bereits mit seinem Debüt Echte Cowboys (2010) Aufsehen. Für den Roman wurde er mit dem Literaturstipendium der Landeshauptstadt, dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur sowie dem Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium ausgezeichnet. Sein Roman Jackpot – wer träumt, verliert (2012) war im Jahr 2012 für den Deutschen Jugendliteraturpreis der Jugendjury nominiert.

Stephan Knösel lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen in München.

 

2 Überblick über das kinder- und jugendliterarische Werk

Knösels kinder- und jugendliterarisches Werk, das im Folgenden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt wird, zeugt von der Verbundenheit mit seinem Wohnort (die ersten 4 Romane spielen in München), der Affinität für lebensnahe Themen sowie einem jugendnahen Schreibstil. Was die Konstruktion seiner Erzählungen betrifft, profitiert Knösel von seiner Expertise als Drehbuchautor. Zahlreiche Elemente filmischen Erzählens wie variantenreiche Schnitte und zeitliche Sprünge, polyperspektivische Erzählweise, Situationskomik, mehrdimensionale Figuren und glaubwürdige Dialoge, prägen den Erzählstil seiner Romane.

Inspiriert wird er für seine Themen vom eigenen Geschmack, aber auch von seinen beiden Söhnen, die etwa die Protagonisten von Master of Desaster – Chaos ist mein zweiter Name (2018) geprägt haben. So bekennt er in einem Interview aus dem Jahr 2019:

Im Fall von Master of Disaster habe ich die zwei Hauptfiguren nicht lange suchen müssen. Es waren meine Söhne. Was sie in dem Buch tun, habe ich zwar etwas überhöht. Aber vom Typ her liegen sie ziemlich genau auf den Rollen. (Knösel/Breitmoser 2019, S. 19)

2.1 Echte Cowboys (2010)

Attestiert wird dem Roman von Seiten der Jury des Literaturstipendiums der Stadt München ein „pathetischer Realismus“, mit dem er sich von zeitgenössischen Fantasy-Romanen abhebe. Als durchaus zeitgenössisch und geradezu typisch für den postmodernen Adoleszenzroman (vgl.: Kaulen 1999, S. 325 ff.) erweist sich die Schilderung einer auf sich alleine gestellten jugendlichen Figur, die innerhalb der Familie keinen Halt erfährt. So ist es hier nicht die jugendliche Figur (wie etwa in der Sick Lit), sondern viel eher die Elterngeneration, die sich als pathologisch erweist. Durch die Abwesenheit des Vaters und die Alkoholsucht der Mutter wird das familiäre Heim zu einem Störfeld, das es zu verlassen gilt. (Vgl.: Stemmann 2012, S. 67) Nachdem seine Mutter versucht hat, sich das Leben zu nehmen, soll der fast 16-jährige Cosmo in einem Heim unterkommen, weshalb er davonläuft. Auf seiner Flucht, die auch als Sinnsuche verstanden werden kann, trifft er auf Nathalie und Tom. Das zentrale Element der Erzählung ist die Suche der drei im Zentrum stehenden Figuren nach einem Platz in ihrem Leben und nach einer Möglichkeit, dieses selbst und eigenverantwortlich in die Hände zu nehmen. Mit viel Einfühlsamkeit, aber ohne Sentimentalität, schildert Knösel die Situation einer verlorenen Generation.

2.2 Jackpot – Wer träumt, verliert (2012)

Mit der „Dramaturgie eines Actionfilms“ (Pronold-Günthner 2016, S. 227), die im Buchtrailer visuell ausgestaltet wurde, inszeniert Knösel seinen Roman um eine Millionenbeute, die zufällig in die Hände des 14-jährigen Chris fällt. Im Angesicht dysfunktionaler und prekärer Familienverhältnisse ist die Verlockung, die von dem unerwarteten Geldsegen ausgeht, groß. Die Lesenden werden zu Reflexionen über die Wertigkeit familiärer Beziehungen eingeladen, die mit Chris‘ finaler Entscheidung, zu seinem älteren Bruder und vorübergehendem Vaterersatz Phil zurückzukehren, den ökonomischen Nutzen des Geldes überwiegt. Die Figuren sind nicht eindeutig als gut oder böse gekennzeichnet, was durchaus polarisiert. So wird von Seiten der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises 2013 die Vielschichtigkeit der Charaktere gelobt, wohingegen Pronold-Günthner kritisiert, dass den weiblichen Figuren durchweg negative Charaktereigenschaften zugeschrieben würden, während die männlichen Hauptfiguren durch Verantwortungsbewusstsein und Selbstlosigkeit zur Identifikation einladen. (Vgl.: Pronold-Günthner 2016, S. 235) Dieser Facettenreichtum sowie die spannenden Wendungen sind die Charakteristiken, die diese actionreiche Milieustudie auszeichnen.

2.3 Das absolut schönste Mädchen der Welt und ich (2015)

Auch in diesem Text kreiert Knösel eine dysfunktionale familiäre Konstellation. Der

17-jährige Protagonist Paul hat seit einem Jahr bei seiner Mutter in Paris gelebt und flüchtet nach einem Streit mit ihr zu seinem Vater nach München. Dieser ist allerdings abwesend und überlässt seinem Sohn seine Wohnung und Kreditkarte. Pauls Reise führt ihn demnach nicht zu familiärer Geborgenheit, sondern allenfalls zu materieller und finanzieller elterlicher Fürsorge. Im Englischen Garten trifft er auf die zwei Jahre ältere Zoe, in die er sich unsterblich verliebt, die er allerdings immer wieder verliert. So ist auch diese Beziehung von unerfüllten Hoffnungen und Wünschen geprägt. Knösel fokussiert in seinem Roman die multiplen Unwägbarkeiten familiärer und amouröser Beziehungen.

2.4 Master of Disaster – Chaos ist mein zweiter Name (2018)

Ursprünglich war der Roman als erster Teil einer Serie geplant. In einem Interview aus dem Jahr 2019 für JuLit spricht Knösel die Enttäuschung an, die damit verbunden war, dass er den zweiten Band bereits konzipiert hatte, als ihm vom Verlag mitgeteilt wurde, dass dieser generell keine Reihen mehr herausgeben wolle. Der Vorschlag, aus dem zweiten Band ein eigenständiges Buch zu machen, wäre damit verbunden gewesen, die Charaktere auszutauschen, was für Knösel nicht infrage kam. (Vgl. Breitmoser 2019, S. 18) Der Roman unterscheidet sich von den vorherigen jugendliterarischen Texten hinsichtlich des Alters der Hauptfiguren. So handelt es sich hier um ein Kinderbuch, das auf humoristische Weise den Alltag der beiden Hauptfiguren beleuchtet. Auch diesen Text prägen Mittel des filmischen Erzählens, die das Erzähltempo, überraschende Wendungen und die Situationskomik beeinflussen.

2.5 Panic Hotel – Letzte Zuflucht (2020)

Mit diesem Roman begibt sich Knösel auf neues Terrain, da er kein realistisches, sondern ein dystopisches Weltbild entwirft. Im Jahr 2032 fliehen im Angesicht einer Nuklearkatastrophe diejenigen, die es sich leisten können in unterirdische Luxushotels. Inspiriert wurde Knösel zu diesem Szenario durch den Artikel Doomsday Prep for the Super-Rich von Evan Osnos aus dem Jahr 2017. (Vgl.: Knösel 2020, S. 359) In diesem Setting entspannt sich eine Liebesbeziehung zwischen den jugendlichen Hauptfiguren Janja und Wesley, die sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten bewegen.

Im Nachwort geht Knösel auf den Umstand ein, dass die Demokratie weltweit in Gefahr sei und er mit seinem Buch nur eines von zahlreichen möglichen Worst-Case-Szenarien aufzeigen wollte (vgl.: ebd.). Dem Fokus auf die Schilderung einer düsteren gesellschaftlichen Zukunftsvision scheint es geschuldet, dass Knösel mitunter eine „technische, kühle Distanz“ (Bongenberg 2020) zu seinen Figuren unterstellt wird. Auch hierin unterscheidet sich der Text von den bisherigen Romanen. Die Stärke des Textes besteht insbesondere in einem kreativen und packend inszenierten Genre-Mix aus Liebes-, Endzeit- und Kriminalroman.

 

3 Rezeption

Knösels kinder- und jugendliterarische Romane werden sowohl von der Zielgruppe als auch von der Fachöffentlichkeit geschätzt, wovon die zahlreichen Auszeichnungen und die Nominierung der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises zeugen. Von Seiten der Fachöffentlichkeit werden insbesondere der „jugendnahe Schreibstil“ (Pronold-Günthner 2016, S. 227), aber auch die Abwesenheit eines didaktischen Zeigefingers gelobt. Auch wenn diese Eigenschaften sein Werk als Unterhaltungs- und Freizeitlektüre ausweisen, zählen seine Texte (insbesondere Echte Cowboys, Jackpot – wer träumt, verliert sowie Master of Disaster – Chaos ist mein zweiter Name) mittlerweile zum festen Bestandteil des Deutschunterrichts an Schulen. In einem Interview mit Doris Breitmoser für JuLit (3/2019) geht Knösel darauf ein, dass seine Motivation, für Kinder und Jugendliche zu schreiben, darin bestünde, junge Menschen zum Lesen zu bringen (vgl. Breitmoser 2019, S. 16). Dennoch schreibe er primär „aus dem Bauch heraus, nach Gefühl.“ (ebd.) Intellektuell würde er sich allenfalls im Nachhinein mit seinen Geschichten auseinandersetzen (vgl.: ebd.). Dem Nachwort des jüngsten Romans, Panic Hotel – Letzte Zuflucht, ist zu entnehmen, dass in diesem Fall nicht die Absicht, die Zielgruppe zum Lesen zu bringen, die treibende Kraft war, sondern die Thematisierung von bzw. Sensibilisierung für gesellschaftliche Missstände und drohende Gefahren in Bezug auf eine weltweit fragiler werdende Demokratie. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich Knösels kinder- und jugendliterarisches Werk in den nächsten Jahren entwickeln wird. Angenommen wird, dass sich die charakteristischen Eigenschaften des packenden (filmischen) Erzählverfahrens, vielschichtiger und mitunter polarisierender Figurenzeichnung und lebensnaher Themen, als Konstante erweisen werden. Während diese Vielschichtigkeit im Bereich der Freizeit- und Schullektüre bereits gewürdigt wird, gilt es, das reichhaltige Potenzial seiner Texte für literaturwissenschaftliche Studien noch zu erschließen.

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur (chronologisch)

  • Echte Cowboys. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2010.
  • Jackpot – Wer träumt, verliert. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2012.
  • Das absolut schönste Mädchen der Welt und ich. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2015.
  • Master of Disaster – Chaos ist mein zweiter Name. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2018.
  • Panic Hotel – Letzte Zuflucht. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2020.

Forschungsliteratur

  • Breitmoser, Doris: „Am Rande des Chaos. Zwei Jungs, eine Erzfeindin und irre Streiche – Stephan Knösel hat mit seinem Master of Disaster eine witzige Kinder-Komödie vorgelegt. Der Autor im Interview“, in: JuLit 45. Jahrgang, Heft 3/19. Arbeitskreis für Jugendliteratur. München 2019.
  • Kaulen, Heinrich: „Fun, Coolness und Spaßkultur? Adoleszenzromane der 90er Jahre zwischen Tradition und Postmoderne“, in: Deutschunterricht, 52, 5/1999, S. 325–336.
  • Knösel, Stephan: „Nachwort“, in: Panic Hotel – Letzte Zuflucht. Weinheim und Basel: Beltz und Gelberg 2020, S. 359.
  • Stemmann, Anna: „Ich bin deshalb nicht schizo. Nur erwachsener, wenn es darauf ankommt.“ Aspekte der gestörten Adoleszenz in Nils Mohls’ Es war einmal Indianerland. In: Iris Schäfer / Anika Ullmann / Nina Holst (Hrsg.): Narrating Disease and Deviance in Media for Children and Young Adults. Krankheits- und Abweichungsnarrative in kinder- und jugendliterarischen Medien. Frankfurt am Main: Lang 2016, S. 53–72.

Internetquellen

  • Knösel, Stephan: Biografie. In: stephanknoesel.de [letzter Aufruf: 19.03.2021].
  • Bongenberg, Sabine: „Packend beängstigend realistische Zukunftsvision“. In: jugendbuch-couch.de [letzter Aufruf 24.03.2021].
  • Buchtrailer: Jackpot [letzter Aufruf 22.03.2021].
  • Jurybegründung zur Nominierung von Jackpot – Wer träumt, verliert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013. In: jugendliteratur.org [letzter Aufruf 22.03.2021].

Handreichungen/Unterrichtsmaterialien

  • Böhmann, Marc: Master of Desaster – Chaos ist mein zweiter Name im Unterricht. Lehrerhandreichung zum Kinderroman von Stephan Knösel (Klassenstufe 5-6, mit Kopiervorlagen). Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2019.
  • Böhmann, Marc: Jackpot – Wer träumt, verliert im Unterricht. Lehrerhandreichung zum Jugendroman von Stephan Knösel (Klassenstufe 5-9, mit Kopiervorlagen). Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2021.
  • Böhmann, Marc: Das absolut schönste Mädchen der Welt und ich im Unterricht. Lehrerhandreichung zum Jugendroman von Stephan Knösel (Klassenstufe 7-10, mit Kopiervorlagen). Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2018.
  • Grimm, Michael / Stemmer-Rathenberg, Anke: Echte Cowboys im Unterricht. Lehrerhandreichung zum Jugendroman von Stephan Knösel (Klassenstufe 8-10, mit Kopiervorlagen und Lösungsvorschlägen). Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2012.
  • Pronold-Günthner, Friederike: Jackpot. Unterrichtsmodell für die 8./9. Jahrgangsstufe. In: Karla Müller / Jan-Oliver Decker / Hans Krah / Anita Schilcher (Hrsg.): Genderkompetenz mit Kinder- und Jugendliteratur entwickeln. Grundlagen – Analysen – Modelle. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 227–242.