Walter Moers

geboren am 24. Mai 1957 in Mönchengladbach
Comiczeichner, Schriftsteller, Illustrator

Helena Trapp
veröffentlicht am 01.07.2022

 

1 Biogramm

Über die Privatperson Walter Moers und seinen Lebenslauf ist nur wenig bekannt. Er scheut die Öffentlichkeit bzw. verkehrt dort nur inkognito. Was er über sich selbst in E-Mails oder im Internet preisgibt, lässt die Neugierigen im Dunkeln tappen, denn oftmals sind die Informationen gar widersprüchlich oder schmecken satirisch. Das Spiel der Selbstinszenierung treibt er dabei so weit, dass nicht mehr zwischen der realen Person und der fiktiven Figur Walter Moers unterschieden werden kann. Zuweilen meint man, ihn zwischen jenen Zeilen leise in sein Schriftstellerfäustchen lachen zu hören. Die Zuverlässigkeit moers’scher Aussagen ist somit grundsätzlich anzuzweifeln.

Auf seiner Website veröffentlicht Walter Moers, so man denn der Unterschrift glaubt, in regelmäßigen Abständen Neuigkeiten zu seinem literarischen Schaffen. Dort dementiert er auch das sich hartnäckig haltende Gerücht, dass es ihn nicht gebe oder er bereits verstorben sei (Moers 2017).

Nicht nur befeuert seine Anonymität den Mythos Walter Moers, sie dient ihm auch als Schutz vor Angriffen von aus rechtsradikalen Kreisen, die den Autor nach der Veröffentlichung seiner Comics über Adolf, die Nazi-Sau bereits bedrohten.

Nach eigenen Angaben ist es seine Wahlheimat Hamburg, von der aus Walter Moers u. a. Käpt’n Bläubär sein Seemansgarn spinnen und Hildegunst von Mythenmetz über Zamonien erzählen und dabei gelegentlich abschweifen lässt (vgl. Zamonien, Walter Moers).

Der folgende Beitrag richtet den Fokus auf die kinder- und jugendliterarischen bzw. die Crossover-Werke von Walter Moers.

 

2 Überblick über das kinder- und jugendliterarische Werk

2.1 Die Anfänge – Prosa und Lyrik für Kinder

Ab 1988 erschienen Moers’ Käpt’n Blaubär-Geschichten, die mehrfach adaptiert wurden. Außerdem gab es eine WDR-Sendereihe (Käpt’n Blaubärs Seemansgarn, 1991–2012), an der Moers zunächst beteiligt war. Nach seinem Ausscheiden wurde die Reihe zwar fortgeführt, die Geschichten waren nach Moers’ Angaben allerdings „zu fantasielos“ (Schütz 2020). Um zu „zeigen, welche Möglichkeiten der Blaubär bietet, wenn man ihn und sein Publikum mal wirklich strapaziert“ (ebd.), entwickelt Moers die Figur und deren Lebenswelt weiter. Sein Roman Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär (Moers 1999), eine fiktive Autobiographie des Seefahrers, markiert den Beginn einer Buchreihe, deren Geschichten sich auf dem fiktiven Kontinent Zamonien abspielen.

Auch die ursprünglich kinderliterarische Figur des Schimauski (Die Schimauski-Methode, Moers 1987), ein allwissendes Genie, wurde von Moers literarisch großgezogen und tritt als Prof. Dr. Abdul Nachtigaller ebenfalls regelmäßig in den Zamonien-Romanen auf. Mit Das Tier, eine wahre Geschichte (Moers 1987) erschuf Moers einen ersten lyrischen Text für Kinder.

2.2 Crossover-Literatur

2.2.1 Zamonien-Romane

Die Zamonien-Romane zählen zur Phantastischen Literatur. Gemeinsam ist ihnen ihr Schauplatz, der fiktive Kontinent Zamonien. Abgesehen von einzelnen Figuren, die romanübergreifend auftauchen, erweisen sich die jeweiligen Erzählungen als eigenständige Geschichten, die in einer eher losen Verbindung zueinanderstehen. Die Handlungen spielen in einer abgeschlossenen mythischen Welt, was die Romanreihe zum Subgenre der Fantasyliteratur zählen lässt. Die Bewohnerinnen und Bewohner Zamoniens, unter ihnen Wolpertinger, Fernhachenzwerge, Buntbären, Eydeeten, Kratzen, Buchlinge, Tratschwellen, Strollentrolle, entstammen mehrheitlich der Feder Moers’, sind zum Teil aber auch mythischen Erzählungen entlehnt.

Die einzelnen Erzählungen unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Darstellungsform. So ist beispielsweise eine als Reise- bzw. Coming-of-Age-Erzählung gestaltet, die nächste als Märchen(-Parodie) und eine andere als Briefroman. In seinen Romanen spielt Moers auf literarische Traditionen an und verknüpft sie sowohl inhaltlich als auch stilistisch mit gegenwärtigen kulturellen Phänomenen und postmodernen Gestaltungsmitteln, was sein Werk weiterhin als popkulturelles Artefakt etikettieren lässt.

Typisch für die Romane ist die Vielzahl an narrativen Ebenen, deren Erzählinstanzen mal Teil der erzählten Welt, mal nicht am Geschehen beteiligt sind. Obschon die verschiedenen Erzählebenen in einer separaten mythischen Welt verortet sind, sind die Werke an eine implizite Leserschaft in einer an der außerliterarischen Realität orientierten fiktiv-realen Welt gerichtet, was u. a. anhand der Fußnoten deutlich wird, die als Erklärungen bestimmter Phänomene für die Adressatinnen und Adressaten angeführt werden.

Stil und literarische Besonderheiten

Im zweiten Zamonien-Band (Ensel und Krete, Moers 2000) tritt zum ersten Mal der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz als Erzählfigur auf, der zudem als vorgeblicher Verfasser dieses und einiger weiterer Bände inszeniert wird. Sogar die peritextuellen Angaben (Haupttitelblatt) führen Mythenmetz als eigentlichen Autor, Moers hingegen als Übersetzer (aus dem Zamonischen ins Deutsche) und Illustrator auf. Mit Hildegunst von Mythenmetz handelt es sich somit um einen fiktiven Herausgeber bzw. eine Herausgeberfiktion. Als Teil der erzählten Welt ist auch der vorgebliche Übersetzer Walter Moers nicht mit dem realen Autor der Texte gleichzusetzen, sondern als eine Kunstfigur zu verstehen. Diese hierarchisch organisierte Vielzahl von Erzählinstanzen ist für die Zamonien-Romane charakteristisch.

Dass sich der eigentliche Verfasser als Übersetzer seines Werkes inszeniert, ist eine häufige Praxis im Bereich der phantastischen Literatur (vgl. Wegner 2016, 13). Als fiktiver Übersetzer fügt die Figur Walter Moers u.a. Teilbiographien von Hildegunst von Mythenmetz an, zitiert Lexikoneinträge des fiktiven Prof. Dr. Abdul Nachtigaller und thematisiert Schwierigkeiten und Herausforderungen des Übersetzungsprozesses. Die Fußnoten des fiktiven Übersetzers Walter Moers, die die Erzählung kommentieren und dabei gleichzeitig fortführen, sind somit ein Element der Metafiktion, die für das Moers’sche Werk charakteristisch ist und in verschiedenen Erscheinungsweisen zu Tage tritt.

Im fünften Roman, Der Schrecksenmeister (Moers 2008), wird das Spiel mit der Autorschaft noch weitergetrieben. So wird Gofid Letterkerl (Anagramm von Gottfried Keller) als eigentlicher Autor, Mythenmetz als Nacherzähler und Moers schließlich wieder als Übersetzer inszeniert. Neben einem ersten Nachwort, in dem Mythenmetz seine Anpassungen erklärt, gibt es auch ein zweites Nachwort, in dem die Figur Moers darlegt, dass er die Mythenmetz’sche Wiedergabe deutlich kürzen musste.

Während die Übersetzerfigur Walter Moers stets als extradiegetisch-heterodiegetischer Erzähler erscheint, tritt Hildegunst von Mythenmetz mal als extradiegetisch-heterodiegetischer Erzähler, mal als extradiegetischer-homo- bzw. autodiegetischer Erzähler auf. Vorworte, das Zitieren aus Lexikonartikeln des Eydeeten Nachtigaller, die erklärenden Fußnoten, kartographische Darstellungen, die biographischen Angaben Mythenmetz’ sowie der Epitext dienen der Authentifizierung der Erzählinstanzen; gleichzeitig werden diese Strategien durch Fiktionalitätssignale immer ironisch unterlaufen, da sich die Artefakte und ihre Quellen als pseudo-faktual erweisen. So ist beispielsweise allgemein bekannt, dass es sich um fiktionale Textsorten handelt und es keine schreibenden Lindwürmer, 7-gehirnige Lexikonautoren oder den Kontinent Zamonien gibt oder gab. Neben den peritextuellen entpuppen sich auch die epitextuellen Angaben als Teil der Fiktion. Deutlich wird dies an der Tatsache, dass die Figuren Mythenmetz und Moers auch außerhalb der Romane „existieren“ und miteinander interagieren. So kann die Öffentlichkeit hin und wieder Zeugin von Auseinandersetzungen werden, die in Feuilletons oder Videobeiträgen von Zeitungen und Rundfunksendern ausgetragen werden (vgl. Zeilmann 2007; Platthaus 2007). In diesen Auseinandersetzungen geht es meist darum, dass Mythenmetz die Übersetzungen von Moers bemängelt und ihm Plagiat vorwirft, woraufhin dieser sich zu verteidigen versucht und seinerseits selbst über den Umfang der Mythenmetz’schen Texte sowie den Mangel an adäquaten Übersetzungsmöglichkeiten klagt. Diese Veröffentlichungen können sowohl als eigenständige literarische Texte wie auch als fiktionale Epitexte zu den Romanen gelesen werden.

Die Figuren Hildegunst von Mythenmetz und Walter Moers sind nicht nur Gegenspieler, sondern gewissermaßen auch Alter Egos des realen Autors Walter Moers. Sie werden zu seinem „Sprachrohr“ (Wegner 2016, 14) und dienen gleichzeitig seiner Selbstinszenierung sowie als Vermarktungsstrategie. Die Grenzen der Figuren sowie der Fiktionalität werden somit aufgebrochen, bis sie schließlich verschwimmen. Für die Öffentlichkeit wird Walter Moers durch das Vermischen von fiktiver und realer bzw. extrafiktionaler Dimension zu einer Kunstfigur, die keine Unterscheidung zwischen dem realen und dem erdichteten Walter Moers mehr zulässt.

Die fiktiven Auseinandersetzungen, die als Performance beschrieben werden können, sind nicht nur originelle PR-Strategien, sie können auch als parodistische Anspielungen auf reale Ereignisse, Zustände und Diskurse in der literarischen Öffentlichkeit verstanden werden. Dass die Übersetzerfigur Moers als gewissermaßen letzte (Erzähl-)Instanz über noch mehr Macht verfügt, weist zudem auf reale Übersetzungsschwierigkeiten hin.

Mit Mythenmetz tauchen, wenn auch nicht in allen „seiner“ Werke, die für ihn typischen Mythenmetzschen Abschweifungen auf, eine „vollkommen neuartige[], schriftstellerische[] Technik“ (Moers 2017/2000, 34), die es dem „Autor“ Mythenmetz erlaubt, die eigentliche Diegese zu unterbrechen und den eigenen Schreibprozess zu reflektieren. Bei jener Art der Überschreitung von Erzählebenen handelt sich um eine Form der Metalepse.

Diese Technik ermöglicht es dem Autor, an beliebigen Stellen seines Werks einzugreifen, um, je nach Laune, zu kommentieren, zu belehren, zu lamentieren, kurzum: abzuschweifen. Ich weiß, daß es Ihnen nicht gefällt, aber es geht nicht darum, was Ihnen gefällt. Es geht darum, was mir gefällt. (Moers 2017/2000, 34)

Indem beispielsweise die Leserinnen und Leser direkt als solche angesprochen werden und Mythenmetz sich auf seinen Schreibprozess bezieht, wird auf das Schaffen des fiktiven Autors und des fiktiven Übersetzers verwiesen. Dass hierdurch die Fiktion bzw. die Fiktionalität der Intradiegese als solche ausgestellt wird, erweist sich als weiteres metafiktionales Element.

In den Mythenmetzschen Abschweifungen werden auch Erzähltechniken, beispielsweise die Prolepse, reflektiert:

In fast jedem bedeutenderen Werk der jüngeren Literatur werden Sie Sätze lesen wie Das sollte sich noch einmal böse rächen oder Er konnte ja nicht ahnen, daß dieser Fahnenmast in seinem Leben noch eine wichtige Bedeutung haben würde. Sie dient dazu, die Leseloyalität von solchen Lesern aufrechtzuerhalten, die nicht gerade über eine hohe Aufmerksamkeitsspanne verfügen. (Moers 2017/2000, 204)

Jenes Stilmittel, das er als Mythenmetzsche Ereignisandrohung für sich reklamiert, bewertet er „in der heutigen Zeit der allgemeinen Reizüberflutung“ als „legitimes Mittel“, um das Interesse der Rezipientinnen und Rezipienten aufrecht zu erhalten (ebd.). Diese Aussage kann als Anspielung auf die Literaturproduktion gelesen werden, die sich an den Wünschen und Voraussetzungen der potenziellen Lesendenschaft orientiert.

Die Mythenmetzsche Abschweifung bedeutet für die Rezipierenden nicht nur einen (Illusions-)Bruch, sondern stellt ihre Geduld auf eine harte Probe und verlangt ihnen einiges ab. So scheut Mythenmetz beispielsweise nicht davor zurück, seitenweise „Brumli“ zu schreiben; kann man beim Lesen im wahrsten Sinne des Wortes noch darüber hinwegsehen, sind die Zuhörenden der Hörspielfassung dazu gezwungen, Dirk Bach in temporärer Dauerschleife beim „Brumlieren“ zu lauschen (vgl. Moers 2013). Diese Aktion begründet Mythenmetz mit „Künstlerischer Freiheit“, „Schierer Willkür“, „Avantgarde“, „Machtmissbrauch“ (Moers 2017/2000, 55) – schließlich einfach, weil er’s kann, „darum“ (ebd). Er verweigert den Lesenden die Preisgabe seiner Beweggründe und weist ihre mutmaßliche Neugier schroff zurück: „Was geht Sie das an?“ (ebd.), was als ironische Anspielung auf literaturtheoretische Ansätze, die nach der vermeintlichen Autorintention fragen, verstanden werden kann. Entscheidend ist letztendlich, was getan wird und dass auf diese Weise ein Irritationsmoment entsteht, das als postmoderner und gleichzeitig performativer Akt aufgefasst werden kann.

Dass der fiktive Autor Mythenmetz nicht hinter seinem Werk zurücktritt, sondern sich den Lesenden geradezu aufdrängt, kann als Parodie auf strukturalistische Konzepte von Autorschaft gelesen werden, die die von Barthes postulierte These vom ‚Tod des Autors’ grundlegen (vgl. Neuhaus 2014, 317; vgl. auch Conrad 2011, 282 f.).

„Darf ich an dieser Stelle einmal auf meine schriftstellerische Raffinesse hinweisen? Natürlich darf ich das, innerhalb einer Mythenmetzschen Abschweifung darf ich alles.“ (Moers 2017/2000, S. 167)

Durch den Kunstgriff der Herausgeberfiktion, die damit verbundenen Mythenmetz’schen Abschweifungen sowie die vorgeblichen Übersetzungseingriffe wird ein selbstreferenzielles Spiel betrieben. Auf der Erzählebene bezieht sich der fiktive Autor Mythenmetz auf sich selbst, die Begleitumstände seines Schaffensprozesses sowie Erzähltechniken; der fiktive Übersetzer Moers wiederum bezieht sich auf das Mythenmetz’sche Werk und gleichzeitig auf sein eigenes Übersetzungshandeln. Durch jene metafiktionalen Einschübe wird der fiktionale Charakter sowohl der intra- als auch der extradiegetischen Erzählebene thematisiert und die Künstlichkeit des Gesamtwerkes ausgestellt. Wie auch im epischen Theater wird auf diese Weise das Eintauchen der Lesenden verhindert.

Von großer Bedeutung ist dabei die typografische Gestaltung. Einige Schriftzeichen sind von zusätzlichem semantischen Wert; sie haben nicht nur eine Verweisfunktion, sondern sind auch eigenständiger Bedeutungsträger. Die Schrift ist somit nicht nur ein symbolisches Zeichen, sondern kann mit dem Bezeichneten auch in einer deiktischen, ikonischen oder indexikalischen Verbindung stehen. So markiert sie beispielsweise Figuren- und Erzählerreden und Lexikonartikel, visualisiert Bewegungen im Raum, verweist auf Eigenschaften der Bezugsobjekte und drückt Lautstärken aus.

Moers’ Werke zeichnen sich sowohl auf der Ebene der Darstellung als auch inhaltlich durch eine hohe Dichte an intertextuellen und intermedialen Verweisen aus, die nicht selten als parodistische oder gar satirische Anspielungen gelesen werden können. Sie beziehen sich auf Künstlerinnen oder Künstler und ihre Kunst, darunter insbesondere die Literatur, den Literaturbetrieb und die Literaturkritik, aber auch auf politische und philosophische Theorien. So ist der Name des Buchlings Ojahnn Golgo von Fontheweg ein Anagramm und damit eine Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethe (Die Stadt der Träumenden Bücher, Moers 2004), Prof. Dr. Nachtigallers Leitspruch „Wissen ist Nacht“ offenbart einen Bezug zu dem auf Francis Bacon zurückgehenden Leitgedanken „Wissen ist Macht“ und Mythenmetz’ Werktitel „Ich werde gedacht, also bin ich“ erinnert an den wohl bekanntesten Grundsatz von René Descartes (vgl. Moers 2000, 250). Dass Moers auf andere (literarische) Kunstwerke verweist, sie gar zum konstitutiven Fundament seiner Erzählungen werden lässt, macht deutlich, dass Literatur aus Literatur geschaffen ist und markiert somit ein weiteres Element der Metafiktion. Gleichzeitig verortet Moers sich selbst und sein Werk innerhalb einer bestimmten literarischen Tradition. Vor allem das 18. und 19. Jahrhundert dient Moers als Referenten. In einem Interview (Kreitling 2011) beschreibt er seine Liebe für die Literatur jenes Zeitraums, was zu erklären scheint, warum viele Verweise auf jenen Zeitraum vielmehr als ehrerbietende Reminiszenzen denn als satirische Überformung zu lesen sind (z.B. Der Schrecksenmeister, Moers 2008 als Adaption von Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen, 1856). Gleichzeitig muten andere Darstellungen als deutliche Persiflage auf Haltungen zu Autor- bzw. Künstlerschaft und damit verbundene Idealvorstellungen, insbesondere den Geniekult, an (vgl. das „Orm“ in Die Stadt der Träumenden Bücher, Moers 2004 oder das „Gennf“ in Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, Moers 1999). Karikiert wirkt auch eine konsum- und profitorientierte Produktion und Vermarktung von Literatur sowie die Hochhaltung bestimmter literarischer Erzeugnisse, die als Hoch- von der Trivialliteratur abgegrenzt werden, was den Bezug zur Gegenwart herstellen lässt. Den etablierten Strukturen und Mechanismen literarischer Wertung setzt Moers ein neues Modell entgegen, das die hochgelobte Bestsellerliteratur den eigentlichen Katakombenschätzen unterordnet (vgl. ebd.).

Illustration

Fast alle Zamonien-Romane hat Walter Moers selbst bebildert. Seine meist in schwarz-weiß gehaltenen Abbildungen wirken aufgrund ihres Detailreichtums sowie ihrer Schraffur sehr plastisch und „naturgetreu“. Bei den Illustrationen handelt es sich um monoszenische Einzelbilder; zu den dargestellten Einzelheiten gehören hauptsächlich Figuren, aber auch Landkarten und Ausschnitte bestimmter Umgebungen. Trotz der Zeichnungen handelt es sich weniger um Bilderbücher, sondern vielmehr um illustrierte Texte. Grund dafür ist die narrative Funktion der Bilder, die sich darin erschöpft, den Verbaltext zu ergänzen bzw. einzelne Elemente oder Momente zu visualisieren.

In einem Interview hält Moers fest: Bücher sind etwas Gutes, aber illustrierte Bücher sind etwas Besseres (Schütz 2020).

Der siebte Zamonien-Roman (Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr, Moers 2017) ist der erste, der von Lydia Rode illustriert wurde. Dass die Protagonistin Prinzessin Dylia einige Parallelen zur ihrer Illustratorin aufweist, sei hier nur am Rande erwähnt. So verweist einerseits der Name Dylia anagrammatisch auf Lydia, zum anderen leiden sowohl die Prinzessin als auch ihr reales Vorbild an einer seltenen Krankheit. In diesem Roman wie auch in der Neuausgabe von Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär sind die Illustrationen farbig.

2.2.2 Weitere Prosa

Der Roman Wilde Reise durch die Nacht ist der einzige von Walter Moers, der nicht in Zamonien spielt. Auch dieser Text ist nicht von Moers persönlich illustriert, sondern enthält stattdessen Stahlstiche von Gustave Doré (1832-1883). Der Roman ist eine Hommage an diesen französischen Künstler, was nicht nur im Peritext betätigt wird, sondern auch durch den jugendlichen Protagonisten Gustave Doré, der von einem Künstlerdasein träumt, deutlich wird.

Da sich die Zamonien-Romane sowohl an Jugendliche als auch an Erwachsene richten, sind sie zur Cross-Over- oder All-Age-Literatur zu zählen. Erkennbar ist ihre Mehrfachadressierung an Signalen wie der Ironie oder der Intertextualität. Die entsprechenden Anspielungen, die sich auf kulturelles und/oder Erfahrungswissen beziehen, konstituieren die Komplexität der Erzählungen, dennoch müssen sie nicht zwingend erkannt bzw. verstanden werden, um zu einer geteilten Lesart zu gelangen. Gleichzeitig werden die Geschichten trotz ihrer Komplexität und von postmodernen Eingriffen abgesehen, relativ „traditionell“ erzählt, was es ermöglicht, ihnen problemlos zu folgen. Mit dem breiten Lesepublikum bestätigen die Romane die Beobachtung, dass Fantasy-Literatur aufgrund ihrer meist altersübergreifenden bzw. altersunabhängigen Inhalte häufig zur Crossover-Literatur gezählt wird (vgl. Blümer 2012).

2.3 Exkurs: Kunst für Erwachsene

In seiner frühen Schaffensperiode veröffentlichte Walter Moers hauptsächlich Comics, die zunächst in den Satirezeitschriften Kowalski und Titanic erschienen. Zu seinen bekanntesten Figuren zählen das kleine Arschloch, der alte Sack und Adolf, die Nazi-Sau. Indem Tabugrenzen und Grenzen politischer Korrektheit bewusst verletzt werden, entstehen Satiren, die hauptsächlich auf Begeisterung, zuweilen aber auch auf Missbilligung stoßen. Sowohl die Inhalte als auch die Tatsache, dass die Fans der ersten Stunde mit ihm gealtert sind, erklären, warum die Comics von Walter Moers im Gegensatz zu seinen Romanen eher von Erwachsenen gelesen werden. Neben Comics hat Moers auch Gemälde hervorgebracht, mit denen er berühmte Werke der Kunstgeschichte imitiert. Seinen Pastiches gemein sind die knollennasenartigen Figuren, die die originalen ersetzen. Einige Comics wurden verfilmt, Moers schrieb dabei die Drehbücher.

 

3 Rezeption

Hatte die literaturwissenschaftliche Forschung das Werk von Walter Moers zunächst kaum wahrgenommen oder gar gewürdigt, ist seit einigen Jahren ein verstärktes Interesse der Fachöffentlichkeit am Moers’schen Œuvre, das sich sukzessive zum Forschungsgegenstand entwickelt, zu beobachten. In der Populärrezeption hingegen avancierte Moers schnell zum gefeierten Bestseller-Autor.

Es gab bereits zwei größere Ausstellungen, die sich dem Schaffen von Walter Moers widmeten. Für Käptn Blaubärs Seemannsgarn (Moers et al. 1991-1993) erhielt er 1994 den Adolf-Grimme-Preis und im Jahr 2005 für Die Stadt der Träumenden Bücher (Moers 2004) den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar. Weitere Auszeichnungen sind auf seiner Website aufgelistet (Zamonien, Walter Moers).

Die Fangemeinde der Zamonien-Erzählungen verdient insofern besondere Beachtung, als ein Teil von ihr in speziellen Internetforen aktiv ist und dort kollaborativ ein Zamonien-Lexikon angelegt hat, das laufend ergänzt wird. Zu finden sind darin beispielsweise Charakterisierungen einzelner Figuren sowie Auflistungen der bereits entschlüsselten Anspielungen (vgl. Fandom, Zamonien-Wiki).

Der Unterwasserberg Nachtigaller Shoal ist nach Moers’ Figur Prof. Dr. Nachtigaller, dem intelligentesten Wissenschaftler Zamoniens, benannt (vgl. Alfred-Wegener-Institut 2014). Eine seltene Spinnenart wurde, weil ihr Kopfbereich stark an die Nasen bestimmter Bewohnerinnen und Bewohner Zamoniens erinnert, Zamonische Zwergspinne getauft (vgl. Fogal 2010).

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur (Auswahl)

  • Die Schimauski-Methode. Weinheim: Beltz & Gelberg 1987.
  • Das Tier, eine wahre Geschichte. Frankfurt am Main: Eichborn 1987.
  • Käpt’n Blaubärs Seemannsgarn. 3 Bände. Ravensburg: Ravensburger 1990.
  • Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär. Frankfurt am Main: Eichborn 1999; NA 2019.
  • Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien. Frankfurt am Main: Eichborn 2000; NA 2017.
  • Wilde Reise durch die Nacht. Mit Ill. von Gustave Doré. Frankfurt am Main: Eichborn 2001; NA 2003.
  • Rumo & Die Wunder im Dunkeln. München: Pieper 2003; NA 2020.
  • Die Stadt der Träumenden Bücher. München: Pieper 2004; NA 2020.
  • Der Schrecksenmeister. München: Pieper 2007; NA 2020.
  • Das Labyrinth der Träumenden Bücher. München: Knaus 2011; NA 2017.
  • Entdeckungsreise durch einen phantastischen Kontinent. Zusammen mit Anja Dollinger. München: Knaus 2012.
  • Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr. Mit Ill. von Lydia Rode. München: Knaus 2017.
  • Weihnachten auf der Lindwurmfeste. Mit Ill. von Lydia Rode. München: Penguin 2018.
  • Der Bücherdrache. München: Penguin 2019.

Die erwachsenenliterarischen Werke von Walter Moers sind auf seiner Website aufgeführt (Zamonien, Walter Moers).

Sekundärliteratur

  • Conrad, Maren J.: Von toten Autoren und Lebenden Büchern. Allegorien und Parodien poststrukturalistischer Literaturtheorie in den Katakomben der Stadt der Träumenden Bücher. In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers’ Zamonien-Romane. Vermessungen eines fiktionalen Kontinents. Göttingen: V&R Unipress 2011, S. 281–302.
  • Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers’ Zamonien-Romane. Vermessungen eines fiktionalen Kontinents. Göttingen: V&R Unipress 2011.
  • Neuhaus, Stefan: Das bin doch Ich – nicht. Autorfiguren in der Gegenwartsliteratur (Bret Easton Ellis, Thomas Glavinic, Wolf Haas, Walter Moers und Felicitas Hoppe). In: Kyory, Sabine (Hg.): Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld: Transcript 2014, S. 307–325.
  • Neuhaus, Stefan: Märchen. 2. überarb. Auflage. Stuttgart: UTB 2017.
  • Wegner, Mareike: „Wissen ist Nacht!“ Parodistische Verfahren in Walter Moers’ Zamonien-Romanen und in Wilde Reise durch die Nacht. Bielefeld: Aithesis 2016.

Sonstige Quellen (Fernseh- und Hörspielproduktion)

  • Moers, Walter (2013): Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien [Hörbuch MP3-CD]. Gelesen von Dirk Bach. München: Der Hörverlag.
  • Zeilmann, Achim: Drachengespräche. Ein Gespräch mit Hildegunst von Mythenmetz, dem dichtenden Lindwurm von Walter Moers [Gesprächssendung]. ZDF, 03.09.2007. https://www.youtube.com/watch?v=E3JwEVYcGBk und https://www.youtube.com/watch?v=I9-eLrAxErw [letzter Zugriff: 28.03.2022].

Internetquellen

  • Alfred-Wegener-Institut: Neuentdeckung am Meeresgrund – AWI-Wissenschaftler benennen bislang unbekannte Unterwasserberge nach Nelson Mandela und einer Romanfigur aus „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ [Pressemitteilung], 19.06.2014. Zuletzt aktualisiert am: 27.07.2020. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Blümer, Agnes: Crossover/All-age-Literatur. In: KinderundJugendmedien.de, 01.11.2012. Zuletzt aktualisiert am: 06.10.2021. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Fandom: Zamonien-Wiki. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Fogal, David: Neue Spinne erhält Namen aus Comic. In: Das Online-Magazin der Universität Bern, 19.04.2010. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Kreitling, Holger: Was Walter Moers in seinem Giftschrank verbirgt. In: Welt Online, 20.10.2011. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Moers, Walter: Stellen Sie sich, Herr von Mythenmetz! Eine Erwiderung auf die haltlosen Vorwürfe des größten zamonischen Dichters. In: Die Zeit Nr. 35/2007, 23.08.2007. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Moers, Walter: Mich gibt es wirklich. Ein Bericht zur Lage der zamonischen Literatur. In: Offizielle Website zu Walter Moers und seinen Zamonien-Büchern: Zamonien – Walter Moers [letzter Zugriff: 18.02.2022].
  • Platthaus, Andreas: Moers trifft Mythenmetz. Natürlich bleibt ihr Buch ein Schmarrn. In: F.A.Z., 04.10.2007. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Schütz, Wolfgang: Walter Moers: „Früher war ich dümmer, aber auch furchtloser.“ In: Augsburger Allgemeine, 07.03.2020. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].
  • Zamonien: Offizielle Website zu Walter Moers und seinen Zamonien-Büchern. Online verfügbar [letzter Aufruf: 18.02.2022].