Gudrun Pausewang

geboren am 3. März 1928 in Wichstadtl, Kreis Grulich (heute: Mladkov/Tschechien)
gestorben am 23. Januar 2020 bei Bamberg
Schriftstellerin im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur

Dr. Jana Mikota
veröffentlicht am 19.06.2022

 

1 Biogramm

Gudrun Pausewang kommt am 3. März 1928 in Wichstadtl, Kreis Grulich, Böhmen (heute: Mladkov, Tschechien), als älteste Tochter der Familie Pausewang zur Welt. Ihr Vater Siegfried Pausewang, 1899 geboren und aus einer alteingesessenen Familie aus Wichstadtl stammend, hat in Wien und Breslau Landwirtschaft studiert und das Studium als Diplomlandwirt abgeschlossen. Ihre Mutter Elfriede Müller, verheiratete Pausewang, 1902 als Tochter eines Kaufmanns aus Saarbrücken geboren, besaß eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und Jugendleiterin und hat vor ihrer Heirat als Jugendleiterin in Kinderheimen gearbeitet. Mit ihren fünf Geschwistern wird Gudrun Pausewang in und mit der Natur groß, das Leben ist jedoch auch von Geldsorgen geprägt. Die Kinder werden nach der „völkisch-national ausgerichteten Lietz’schen Pädagogik“ (Pausewang 1999, S. 7) erzogen. Dazu gehören u. a. Naturnähe, Genügsamkeit, Pflichterfüllung oder Selbstbeherrschung. Sie beschreibt sich selbst als „lesesüchtig“ (ebd.). Gudrun Pausewang geht zunächst in eine Schule in Wichstadtl, besucht seit Herbst 1940 ein Gymnasium in Freiwaldau, wechselt bereits 1941 aufgrund der besseren Bahnverbindung auf das Gymnasium in Mährisch Schönberg. Bereits am 9. Mai 1945 muss die Familie die Tschechoslowakei verlassen. Sie flieht zunächst nach Winsen (Luhe) bei Hamburg, wo die Schwester der Mutter lebt. Im Frühjahr 1946 geht Gudrun Pausewang zu ihrer Großmutter mütterlicherseits nach Wiesbaden, wo sie ein Mädchengymnasium besucht. Sie macht 1948 das Abitur und nimmt anschließend das Studium am Pädagogischen Institut in Weilburg auf. Sie arbeitet in den Jahren von 1951 bis 1955 als Lehrerin in Weilburg und Wiesbaden. 1956 nimmt Gudrun Pausewang in Temuco (Chile) an der deutschen Auslandsschule eine Stelle als Lehrerin an. Das südamerikanische Lebensgefühl begeistert Pausewang. Von einem solchen Klima beeinflusst entstehen ihre ersten Romane. Sie entwickelt ein Interesse an den sozialen Verhältnissen, aber auch an den politischen Vorgängen in den einzelnen Ländern. 1961 wechselt sie nach Maracaibo in Venezuela. In diesen Jahren bereist sie weitere Länder Südamerikas und wird ihre Eindrücke in zahlreichen Romanen verarbeiten. 1963 kehrt sie nach Deutschland zurück und arbeitet in den nächsten vier Jahren als Lehrerin in Mainz. Zugleich nimmt sie ein Studium der Germanistik an der Universität Mainz auf. 1968 geht sie mit ihrem damaligen Mann Hermann Wilcke erneut nach Südamerika und unterrichtet in Barranquilla in Kolumbien. 1970 kommt ihr Sohn Martin zur Welt, 1972 kehrt sie nach Deutschland zurück. Ihre Ehe wird geschieden. Sie arbeitet weiter als Lehrerin und schreibt zugleich Bücher. Seit 1972 lebt und arbeitet sie in Schlitz, Hessen. Die Autorin starb im Alter von 91 Jahren am 23. Januar 2020 in der Nähe von Bamberg.

 

2 Überblick über das Gesamtwerk

„Ich schreibe immer über das, was mich gerade bewegt“ (Pausewang 1999, S. 19), so Gudrun Pausewang in ihrer Rede Hallo, Vetter Quijote (1999). Gudrun Pausewang hat mehr als 85 Werke für Kinder, Jugendliche und Erwachsene verfasst. Einige ihrer Bücher wie Die Wolke (1987) oder Reise im August (1992) sind fester Bestandteil im Deutschunterricht, wurden mehrfach aufgelegt, in mehrere Sprachen übersetzt und ausgezeichnet. Gudrun Pausewang gehört zu den politisch engagierten deutschsprachigen (Kinder- und Jugendbuch-)Autorinnen, sie selbst sieht sich als eine sozialkritische Schriftstellerin. Ihre schriftstellerische Karriere beginnt zunächst mit Romanen für Erwachsene, in denen sie ihre Erfahrungen in Südamerika variiert darstellt. Der Impuls, für Kinder und Jugendliche zu schreiben, kommt von außen. 1971 fragt der Schwann-Verlag nach, ob sie nicht auch ein Kinderbuchmanuskript hätte. 1972 erscheint mit Hinterm Haus der Wassermann das erste Kinderbuch von Gudrun Pausewang.

Gudrun Pausewang hat in ihren Texten eine eigene Poetik entwickeln können, die sich durch einen milieugetreuen Realismus und das unbeschönigte Erzählen der Gegenwart und Vergangenheit auszeichnet. Ihre Sprache ist nüchtern und sie ist sich der moralischen Verantwortung bewusst, die sie als Autorin hat. Ihre Romane und Erzählungen sind meist so konzipiert, dass sich Lösungen im gemeinschaftlichen Handeln der Protagonisten finden. Es können Erwachsene und Kinder gemeinsam handeln, doch sind es in der Regel Kinder bzw. Jugendliche, die die Gesellschaft hinterfragen und Veränderungen wünschen. Bereits in ihren ersten Romanen zeigt sich eine genaue Beobachtung der sozialen Wirklichkeit, die sich im Laufe ihres schriftstellerischen Schaffens intensivieren und facettenreich perspektivieren wird. Ihre Beobachtungen konzentrieren sich sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Vergangenheit. Ihre kinder- und jugendliterarischen Texte zeichnen sich durch eine klare Strukturierung und lineares Erzählen aus. Pausewang experimentiert nicht mit neuen Erzählformen, sondern die politischen und moralischen Aussagen dominieren ihre Texte. Ihr Œuvre ist der problemorientierten und der zeitgeschichtlichen Kinder- und Jugendliteratur zuzuordnen.

Parallel zu ihren engagierten Romanen hat Gudrun Pausewang auch unbeschwerte Geschichten verfasst, die zum Teil der phantastischen Kinderliteratur zugeordnet werden können und auf märchenhafte Motive zurückgreifen. In ihnen präsentiert sie Spannendes und Komisches einem meist jüngeren Lesepublikum (vgl. Hinterm Haus der Wassermann (1972), Das Ei auf Feuerland (1993), Die Seejungfrau in der Sardinenbüchse (1995), Der Spinatvampir (2003) oder die Räuber Grapsch-Abenteuer (Wer hat Angst vor Räuber Grapsch, 1984, Ein wilder Winter für Räuber Grapsch, 1985, Ein Eigenheim für Räuber Grapsch, 1987, Das große Buch vom Räuber Grapsch, 1992, Die Räuberschule, 2007, Hütet euch vor Räuber Grapsch, 2008, Neues vom Räuber Grapsch, 2008)). Hinzu kommen noch Gedichte und Kurzgeschichten, Bilderbücher sowie Romane für Erwachsene.

In Pausewangs Romanen und Erzählungen lassen sich vier Themenschwerpunkte ausmachen, die eng mit ihrer Biografie verbunden sind: Südamerika, Pazifismus, Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus.

Die Werke von Gudrun Pausewang wurden auch medial umgesetzt: Ihr Roman Plaza Fortuna (1966) wurde 1972 verfilmt, 1984 wurde ihr Roman Auf einem langen Weg als Serie im ZDF ausgestrahlt, 2009 erschien die Serie auf DVD. 2006 kam die Verfilmung ihres Romans Die Wolke in die Kinos – zum 20. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl. Die Geschichten um den Räuber Grapsch gibt es als Hörbuch. 2009 erscheint ihr Roman Die Wolke auch als Graphic Novel. Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt: Englisch, Spanisch Dänisch, Tschechisch, Französisch und Italienisch.

2.1 Wichtige Werke

2.1.1 Bilderbücher

Insgesamt gibt es von Gudrun Pausewang acht Bilderbücher, die sie mit der Illustratorin Inge Steineke erarbeitet hat. Hinzu kommen noch zwei Übersetzungen. Ihre Bilderbücher entsprechen weitestgehend dem erzählenden Bilderbuch und in ihnen spiegelt sich eine Gesellschaftskritik wider. Es sind Friedens-, Umwelt- und sozialkritische Geschichten, die das Lese-Publikum zum Nachdenken anregen möchten (Das Sonnenfest, 1985, Die Kinder in der Erde, 1988, Guten Tag, lieber Feind!, 1986).

2.1.2 Kinder- und Jugendromane

2.1.2.1 Südamerika

Das Leben in Südamerika ist werkbiografisch der erste der vier großen Schwerpunkte im Werk von Gudrun Pausewang. Aufgrund ihrer Erfahrungen und Erlebnisse in Südamerika begann sie ihre schriftstellerische Laufbahn mit Romanen, die gesellschaftliche Strukturen in Chile, Venezuela oder Kolumbien beschreiben. Es sind zunächst Romane wie Rio Amargo (1959), Der Weg nach Tongay (1965), Plaza Fortuna (1966), Bolivianische Hochzeit (1968) oder Guadalupe (1970), die an Erwachsene adressiert sind.

Bald jedoch folgen Jugendromane, die ebenfalls das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner in Südamerika schildern: Und dann kommt Emilio (1974), Die Not der Familie Caldera (1977), Der Streik der Dienstmädchen (1979), Ich habe Hunger – Ich habe Durst (1981), Das Tor zum Garten der Zambranos (1988) oder Regine und der Medizinmann (2003). Es geht um Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung in der Dritten Welt. Auch wenn das Thema ‚Südamerika‘ in der Kinder- und Jugendliteratur der 1970er Jahre nicht neu ist, so setzt Pausewang neue Impulse. Sie verzichtet auf Abenteuererzählungen und nutzt die südamerikanischen Länder nicht als eine bloße exotische Kulisse, um Kinder agieren zu lassen. Die handelnden Figuren stammen aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten. Diskriminierungen einzelner Bevölkerungsgruppen wie die der Indios werden in ihren Kinderromanen thematisiert. Sie entwirft die Zweiteilung der Gesellschaft – die Besitzenden und die Besitzlosen – und zeigt so, wie die Besitzlosen von den Besitzenden abhängig sind. Begegnungen zwischen den beiden Klassen gibt es nur, wenn die Armen Arbeit suchen oder betteln. Freundschaften zwischen Arm und Reich kann es nicht geben.

Die Beschäftigung mit Pausewangs Südamerika-Romanen dokumentiert nicht nur, wie sich die Situation in den südamerikanischen Ländern in den letzten vier Jahrzehnten gewandelt hat, sondern auch, wie sich literarische Diskurse um Diversität, Rassismus, Diskriminierung oder Geschlechterrollen verändert haben. Dies betrifft neben der sprachlichen Gestaltung oder der Verwendung tabuisierter Worte auch die Darstellung die Darstellung der Figuren und auch im Rahmen eines Critical-Whiteness-Diskurses wäre eine Re-Lektüre lohnenswert (vgl. auch Hoiß/Geneuss 2022).

2.1.2.2 Anti-Utopien

Ihr sozialkritisches und politisches Engagement für Südamerika hat Pausewangs Blick nicht vor den Problemen der Kinder und Jugendlichen in (West-)Deutschland verstellt. In den 1980er Jahren wendet sich Gudrun Pausewang der Zerstörung der Umwelt zu, kritisiert in ihren wohl bekanntesten Romanen Die Wolke und Die letzten Kinder von Schewenborn oder … sieht so unsere Zukunft aus? (1983) die Atomenergie und warnt vor Gefahren der Kernkraftwerke. Sie greift mit ihren (Kinder-)Romanen in die öffentliche Diskussion ein und unterstützt die Friedens- und Antikernkraftbewegung. Ihre Sprache wird nüchterner, sie scheut sich nicht, den jugendlichen Leserinnen und Lesern die Gefahren drastisch vor Augen zu führen.

In Die letzten Kinder von Schewenborn oder … sieht so unsere Zukunft aus? gestaltet Pausewang die Auswirkungen eines fiktiven Atombombenangriffs auf Deutschland. Im Mittelpunkt stehen die Tage, Wochen und Jahre nach der atomaren Katastrophe. Der Roman basiert auf Dokumenten über Hiroshima und Nagasaki.

Roland, der zu Beginn der Handlung fast 13-jährige Ich-Erzähler, befindet sich mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf der Fahrt zu seinen Großeltern, als die Atombombe auf Deutschland fällt. Der Ost-West-Konflikt ist eskaliert, Deutschland ist verwüstet und nach und nach mehren sich die Gerüchte, dass fast alle (west-)deutschen Großstädte zerstört wurden. Die Familie bleibt zunächst in Schewenborn, die Großeltern sind bei dem Angriff auf Fulda verstorben. Das Grauen steigert sich noch, das Leiden der Bevölkerung nimmt zu. Roland muss erleben, wie sein bisheriges Leben auseinanderbricht. Die Sprache und die Beschreibungen zeichnen den Leserinnen und Lesern das Schreckensszenario nach einem Atombombenkrieg nach. Pausewang beschreibt in einer nüchternen und klaren Sprache die grauenvollen Erlebnisse.

Der Roman Die Wolke trägt als Mahnung den Untertitel Jetzt werden wir nicht mehr sagen können, wir hätten von nichts gewusst, was die Intention der Autorin noch betonen soll: Der Roman kritisiert das Verschweigen der Gefahren, die von Kernkraftwerken ausgehen. Hintergrund des Romans ist der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986. Der Untertitel stellt eine Verbindung zu dem Themenkomplex Nationalsozialismus her, denn es geht Pausewang um das Wissen, Schweigen und angebliche Nichtwissen der Generation, die den Zweiten Weltkrieg über- und erlebt hat.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der 14-jährigen Janna-Berta, die alleine mit ihrem Bruder Ulli einen Reaktorunfall miterlebt und mit ihm aus Schlitz, Nordhessen, fliehen muss. Janna-Berta tritt nicht als Ich-Erzählerin auf. Ihre Eltern sind auf einer Tagung, ihre Großeltern verbringen ihren Urlaub auf Mallorca, ihre Nachbarn haben bereits das Dorf verlassen und Ulli und Janna-Berta müssen mit ihren Fahrrädern zum Bahnhof fahren. Unterwegs stirbt Ulli, den Leichnam muss Janna-Berta zurücklassen. Sie gerät in radioaktiven Regen und bricht an der Grenze zur DDR zusammen. Im Krankenhaus muss sie erfahren, dass ihre Eltern und ihre Großmutter Jo verstorben sind. Ihre Tante Helga holt sie nach Hamburg. Doch sie verlässt die Tante, kehrt in das Katastrophengebiet zurück und hilft den Opfern.

In beiden Romanen bricht Pausewang mit Tabus und mutet den Lesern und Leserinnen extreme Situationen zu. Pausewangs Romane Die letzten Kinder von Schewenborn oder Die Wolke stehen für die so genannten negativen Utopien. Pausewang nutzt hier die Mittel der Subjektivierung und Emotionalisierung, um den Leser und die Leserin aufzuklären und aufzurütteln. Tatsächlich wird eine solche Literatur auch von anderen Autoren und Autorinnen aufgegriffen und in den 1990er Jahren fortgesetzt.

2.1.2.3 Zeitgeschichte

Die deutsche Zeitgeschichte ist der wichtigste Schwerpunkt in Pausewangs literarischem Werk. Sie beginnt sich nach ihrer endgültigen Rückkehr aus Südamerika mit der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland auseinanderzusetzen, mahnt in ihren zeitgeschichtlichen Romanen vor dem Nationalsozialismus und zeigt, wie Kriege Menschen verändern. Im Mittelpunkt stehen Flucht und Vertreibung. Die Bandbreite reicht von autobiografischen Erzählungen über zahlreiche Warn- und Erinnerungsliteratur bis hin zu der fiktiven Biografie Adolf Hitlers als Jugendlichen. Sie bricht mit bestimmten Tabus, konfrontiert die jungen Leserinnen und Leser mit Themen, die zum Teil noch keinen Eingang in die westdeutsche Kinder- und Jugendliteratur gefunden haben.

1978 erscheint ihr Roman Auf einem langen Weg, der bereits die Fülle der Themen andeutet, die Pausewang in den nächsten Jahren in ihren Romanen aufgreifen wird: Flucht und Vertreibung, Krieg und Zerstörung. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Achim, sechs Jahre alt, und Werner Adamek, zehn Jahre alt. Sie müssen ihre Wohnung aufgrund der herannahenden Front gemeinsam mit ihrer Mutter verlassen. Unterwegs wird der Zug bombardiert, die Mutter kommt schwer verletzt ins Krankenhaus und die Jungen müssen alleine den Weg zu ihrer Tante in Glauchau finden. Die verzweifelte Flucht der beiden Jungen wird geschildert. Sie treffen auf Insassen aus den Vernichtungslagern, ohne zu wissen, wen sie treffen. Begleitet werden sie von der Angst, entweder von der russischen Armee eingeholt zu werden oder in ein Kinderheim zu kommen. Am Ende finden sie ihre Mutter und auch der Vater kehrt aus dem Krieg zurück. Pausewang lässt die Geschichte glücklich enden, die Familie ist zusammen und die Qualen der letzten Monate scheinen vergessen. Die Nachkriegszeit der Familie wird nicht geschildert.

2005 erscheint mit Überleben! ein Roman, der sowohl an jugendliche als auch an erwachsene Leser und Leserinnen adressiert ist. Der Band wird mit einem Brief der Großmutter an ihre 16-jährige Enkelin eingeleitet. Die Großmutter sucht den Dialog mit der Enkelin. Sie schildert, wie sie als 16-jährige Gisela, genannt Gisel, ihre Heimat verloren hat. Gemeinsam mit ihren Brüdern Erwin, zwölf Jahre, Harald, sechs Jahre, sowie dem Kleinkind Wolfi, der hochschwangeren Mutter und der Großmutter verlässt sie ihr Haus, um mit dem Zug gen Westen zu fahren. Gisel schildert in Rückblenden, wie es zu der Flucht kommt, berichtet über die Kriegsbegeisterung der Eltern und die ersten Niederlagen der deutschen Wehrmacht. Ihre Beschreibungen der Flucht und Vertreibung gehören zu Pausewangs stärksten Szenen in den einzelnen Büchern. Es sind oftmals Geschwister, die gemeinsam die Flucht und das Bombardement überstehen und ihre Eltern suchen müssen. Sie zeigt so den Zusammenhalt der Kinder.

1992 erscheint Gudrun Pausewangs Roman Reise im August. Im Roman wird der Transport von 49 Juden in einem Viehwaggon nach Auschwitz beschrieben. Er gehört zu dem einzigen Roman Pausewangs, der den Holocaust so eindrücklich schildert. Der Titel Reise im August weckt Konnotationen einer Urlaubslektüre, mit denen jedoch bereits durch die Titelgestaltung gebrochen wird: Die Hardcoverausgabe zeigt das Tor von Auschwitz, die Taschenbuchausgabe einen älteren Mann mit einem jungen Mädchen. Beide tragen Koffer und auf ihrer Kleidung prangert der gelbe Stern. Damit ist das Ziel der Reise, nämlich das Tor eines Vernichtungslagers, deutlich. Erzählt wird fast ausschließlich aus der Sicht der 12-jährigen Alice, die als naiv und unwissend dargestellt wird.

Reise im August wurde u. a. ins Englische, Rätoromanische, Schwedische und Dänische übersetzt. Ihr Roman hat in Deutschland wesentlich weniger Beachtung gefunden als beispielsweise in Israel. Die israelische Literaturwissenschaftlerin Zohar Shavit betont in ihrem Aufsatz Es war einmal Krieg. Jüdische und nichtjüdische Kriegs- und Nachkriegskindheit und -jugend in der Kinder- und Jugendliteratur (2009), dass Pausewangs Roman „stets von neuem an die Verantwortung der Deutschen für die Judenverfolgung, Selektion, Deportation und Vernichtung durch Gas“ (Shavit 2009, S. 61) erinnert und sich so von anderen zeitgeschichtlichen Kinder- und Jugendromanen abhebt. Pausewang sieht die Verantwortung für das, was geschehen ist, sowohl bei den Tätern als auch bei den Mitläufern, die geschwiegen haben und nichts sehen wollten. Es ist dieses Schweigen und Nichtwissen, das Pausewang anprangert und das sich wie ein roter Faden durch ihr literarisches Werk zieht.

Gudrun Pausewangs zeitgeschichtliche (Kinder- und Jugend-)Romane zu den Themen Nationalsozialismus und die Folgen des Zweiten Weltkrieges nehmen die Fragen von Schuld und Verantwortung auf.

2.1.2.4 Rechtsradikalismus

In ihrem 1993 erschienenen Roman Der Schlund wird die Brüchigkeit der Demokratie entworfen, die sich vor allem in dem Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise offenbart. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der zu Beginn der Handlung vierzehnjährigen Gesa Lorbach, die mit ihren Eltern und drei Geschwistern in einer Kleinstadt in Deutschland lebt. Die Handlung spielt Ende der 1990er Jahre und ist bedingt durch Festtage wie Weihnachten oder Silvester strukturiert. Gesas Vater ist ein kritischer Schriftsteller und Journalist, der weiter Stellung bezieht; ihre Mutter besitzt eine kleine Buchhandlung, die sie jedoch im Laufe der Handlung schließen muss. Sie weigert sich rechtsgerichtete Literatur zu verkaufen. Neben Gesa lebt noch der aus Äthiopien adoptierte Sohn Jirgalem, der 13-jährige Ulf und die 12-jährige Tochter Rike, die mongoloid ist. Erzählt wird, wie sich Gesa und ihre Familie aufgrund einer Wirtschaftskrise immer mehr einschränken müssen. Der beginnende Hass auf Ausländer wird geschildert und wie die Angst in der Familie immer zunimmt. Demgegenüber stehen die Eltern und der Bruder von Gesas Mutter: Ihr Vater, also Gesas Großvater, ist ein wohlhabender Fabrikant, der mit rechten Gruppierungen sympathisiert, Mitglied der Republikaner ist und dann der rechtsextremen Partei Deutsche Volksbewegung (DVB) beitritt. Der Großvater beschreibt zudem die Zeit des Nationalsozialismus, die er erlebt hatte, mit großer Begeisterung. Pausewang entwirft im Roman eine Welt, in der sich Vorurteile und Schrecken ausbreiten. Die Parallelen zum Nationalsozialismus verschleiert Pausewang nicht, sondern Gesa und andere Protagonisten weisen immer wieder auf ihn hin. Die jugendlichen Leser und Leserinnen werden an die Brüchigkeit der Demokratie erinnert und es ist vor allem Gesa, die als Sprachrohr der Autorin fungiert und Werte und Normen wie Zivilcourage vermitteln möchte. Mit einer solchen Hauptfigur bietet Pausewang den Lesern und Leserinnen eine Identifikationsfigur an, die sich aktiv gegen die neue Regierung erhebt.

Sie möchte mit ihren Romanen warnen, den Lesern und Leserinnen jedoch auch zeigen, dass sie „Grund zur Dankbarkeit haben“ (Pausewang 1999, S. 20) und die Demokratie des Landes schützen sollen.

2.1.2.5 Kurzgeschichten

Von Gudrun Pausewang liegen etwa 15 Bände mit Kurzgeschichten vor, in denen sie das Spektrum ihrer Themen erneut entfaltet. In ihren Bänden wie Die Prinzessin springt ins Heu (1982) und Es ist doch alles grün … Umweltgeschichten nicht nur für Kinder (1991) geht es um Umweltzerstörung, die Ausbeutung von Tieren oder die Überflussgesellschaft.

Der Band Aufmüpfige Geschichten (2000) enthält insgesamt 25 Geschichten, in denen Pausewang neben neuen Erzählungen auch ältere aufnimmt. Die Geschichten werden dadurch verbunden, dass sich die Protagonisten gegen Konventionen wehren, bestimmte Erwartungshaltungen ablehnen und Normen neu definieren. Ein Charakteristikum der Erzählungen ist ihre Komik. Einerseits entsteht eine Komik durch Handlungen der Figuren, andererseits spielt Pausewang in ihren Erzählungen mit Sprache, gibt den Figuren mitunter lustige Namen wie „Herr Ikiki“. In ihren Erzählungen findet sich somit eine andere Sprache als in ihren sozialkritischen und engagierten Romanen. Trotz der Komik verlieren jedoch die Geschichten nicht jenen Aspekt, der das literarische Werk von Gudrun Pausewang kennzeichnet: Auch sie setzen sich kritisch mit der (Alltags-)Welt auseinander, vermitteln den Lesern und Leserinnen Werte und Normen. Sie entlarven Herrscher als Unterdrücker und zeigen, wie sich ‚einfache‘ Menschen wehren können. Das Figurenarsenal besteht aus Königen, Räubern, Präsidenten, Wassermännern oder Erfindern.

Ihre Erzählungen ermuntern den kindlichen Leser und die Leserin, sich gegen bestimmte Erwartungshaltungen zu wehren und die eigenen Wünsche zu verfolgen. Im Gegensatz zu ihren sozialkritischen Romanen schließen die Erzählungen mit einem Happy End. Die Wünsche der Menschen können sich erfüllen, die ‚bösen‘ Könige werden verjagt und die Menschen können wieder glücklich leben. In Weg mit der Grenze! wird beispielsweise geschildert, wie zwei machtbesessene Polizeihauptmänner der Länder Waldland und Grasland einen Putsch planen, die Könige ins Gefängnis werfen, Grenzen aufbauen und sogar einen Krieg führen möchten. Erst das Einschreiten der Menschen verhindert einen Krieg und führt zu dem Sturz der beiden Herrscher.

In ihrer 2004 erschienenen Sammlung Ich war dabei. Geschichten gegen das Vergessen erinnert sich Gudrun Pausewang in 20 Geschichten an Kindheit und Jugend unter dem Nationalsozialismus. Bewusst nimmt sie den Blick des Kindes bzw. des Jugendlichen auf, ohne jedoch deren Eindrücke zu verharmlosen. Sie zeigt, wie die nichtjüdische Bevölkerung mit Juden umgegangen ist und wie sie sich nach deren Deportation ihres Besitzes ‚angenommen‘ hat.

Pausewangs Sprache ist nüchtern und präzise. Die Leser und Leserinnen werden angeregt nachzudenken. In den Erzählungen greift Pausewang auf Muster ihrer Romane zurück: Ein Teil sucht den Dialog zwischen der Kriegs- und der Enkelgeneration, andere wiederum sind autobiografisch geprägt und Pausewang greift auf ihre eigenen Erfahrungen zurück. In einem Nachwort informiert sie das Lese-Publikum über den Hintergrund der Erzählungen. Sie geht auf die Verstrickungen nicht nur der Erwachsenen, sondern auch die der Kinder und Jugendlichen ein. Es sind vor allem die Lieder, die sie „voller Hingabe bis zum Untergang des ‚Dritten Reiches‘“ sangen (Pausewang 2004, S. 146).

2.1.2.6 Lyrik

Gudrun Pausewang setzt sich literarisch in erzählenden und lyrischen Texten für ein Umweltbewusstsein ein und mit dem Nationalsozialismus auseinander. Ähnlich wie mit ihren Romanen möchte sie die Leser und Leserinnen provozieren und zum Nachdenken anregen. Exemplarisch sollen zwei Gedichte Pausewangs vorgestellt werden. In Die Schöpfung kennt kein Ende, das 1991 in dem Sammelband Es ist doch alles grün … Umweltgeschichten nicht nur für Kinder erscheint, heißt es:

Die Schöpfung kennt kein Ende
Nie gab’s sechs Tage, gab’s ein Jahr,
eine Zeit, da die Schöpfung vollendet war.
In den Schoß legt Gott nie die Hände.
Nie, daß er ruht, vom Erschaffen matt:
Die Schöpfung findet noch immer statt!
Sie kennt kein Ende.
Gott ändert, entwickelt, weckt, läßt vergehn,
und alles fließt und nichts bleibt stehn.
Auch der erfuhr Wandel und Wende,
der sich Homo sapiens nennt – und nie
gab uns der Schöpfer die Garantie,
daß er den Menschen – der Schöpfung Krone? –
vom Artentod verschone.
(zit. n. Lindenpütz 2000, S. 735)

In dem Gedicht verbindet Pausewang den christlichen Schöpfungsglauben mit der Evolution (vgl. auch ebd., S. 735). Ihre Lyrik zur Umwelt zeichnet sich durch eine Skepsis aus, die aufrütteln möchte. Sie zeigt ein düsteres Bild der Gegenwart und bietet kaum Lösungen an.

Die Themen Nationalsozialismus, Fremdenfeindlichkeit, Flucht oder Vergangenheitsbewältigung werden ebenfalls in ihren lyrischen Texten aufgegriffen und pointiert den Lesern und Leserinnen nahegebracht. Sie plädiert in Gedichten wie Ganz einfach (1986), Feinde (1986) oder Verzicht (1986) für eine Toleranz gegenüber Fremden. Ähnlich wie in ihren Romanen wirft Pausewang auch in ihrer Lyrik keinen nostalgischen Blick auf die ‚verlorene‘ Heimat, sondern plädiert für eine reflektierte Vergangenheitsbewältigung. Bereits in der dritten Strophe werden die Vertriebenen und ihr Umgang mit ihrem früheren Eigentum durch die namenlose Ich-Erzählerin kritisiert. Sie bezieht konkret Stellung, indem sie den momentanen Besitzern ihres früheren Hauses das Eigentum nicht nehmen möchte. Das Gespräch und ein Miteinander sind wichtig, was die Ich-Erzählerin in der letzten Strophe unterstreicht.

Auch in ihren lyrischen Texten scheut sich Pausewang nicht, Stellung zu beziehen, die Gesellschaft zu kritisieren und die Leser und Leserinnen zum Nachdenken anzuregen. Ihre Themenfelder korrespondieren in Lyrik und Prosa miteinander.

2.2 Romane für Erwachsene

Ihre Laufbahn als Schriftstellerin beginnt Gudrun Pausewang, wie bereits erwähnt, mit dem Schreiben für Erwachsene. Es sind die Romane Rio Amargo (1959), Der Weg nach Tongay (1965), Plaza Fortuna (1966), Bolivianische Hochzeit (1968) oder Guadalupe (1970), später folgen Karneval und Karfreitag (1976), Rotwengel-Saga (1993) oder ihre autobiografischen Bücher rund um Rosinka, in denen Pausewang ihre Kindheit und Jugend in Wichstadtl , ihre Kriegserfahrungen, die Nachkriegszeit sowie ihre Flucht beschreibt. Der Band Rosinkawiese. Alternatives Leben in den zwanziger Jahren (1980) entstand in Zusammenarbeit mit ihrer Mutter Elfriede. Die Geschichte wird in Briefen von Elfriede an ihren Neffen Michael erzählt, begleitet werden die Briefe von Bildern aus den zwanziger Jahren. Elfriede berichtet von ihren Erfahrungen bei den Wandervögeln, ihrer Heirat sowie ihrer Ankunft in Wichstadtl. Gudrun Pausewang schaltet sich ebenfalls in den Briefwechsel ein, berichtet von ihren eigenen Erfahrungen auf der Rosinkawiese und ihrer Reise in die Tschechoslowakei nach 1989.

Gudrun Pausewang beschreibt in Fern von der Rosinkawiese (1989), dem zweiten Band, ihre eigene Fluchtgeschichte aus dem früheren Sudetenland. Sie setzt, nachdem sie in einer Art Vorwort ihre Beweggründe des Niederschreibens schildert, mit dem Jahr 1938 ein. Sie möchte ihrem Sohn, der stellvertretend für seine Generation steht, die Ursache der Flucht nennen. Er soll aus ihren Erfahrungen lernen. Sie geht auf den Antisemitismus der Bevölkerung genauso ein wie auf die eigene Hitlerbegeisterung: „Am 1. Mai erfuhren wir, daß Hitler tot war. Ich erinnere mich, verzweifelt geweint zu haben“ (ebd., S. 33).  Pausewang scheut sich demnach nicht, ihre Empfindungen darzulegen. Ihre Offenheit, die durchaus mit ihrer Kinder- und Jugendliteratur zum Thema korrespondiert, hebt sowohl die Rosinkawiesen-Reihe als auch ihre Kinder- und Jugendliteratur aus der Fülle der Texte zur Flucht und Vertreibung hervor. Ihr Buch klagt die tschechische Bevölkerung nicht an, sondern sie erkennt die Fehler der deutschen Bevölkerung und zeigt fast Verständnis für das Handeln der Tschechen nach Kriegsende. Ohne Verbitterung oder Vorurteile erzählt Pausewang ihre Flucht in den Westen, stellt die Gräueltaten und die Ängste während der Flucht dar, ohne jedoch immer wieder die Ursachen der Vertreibung zu reflektieren. Die Reihe schließt Pausewang mit dem Band Geliebte Rosinkawiese, in dem sie ihren Besuch auf der Rosinkawiese und die daraus entstandenen Erfahrungen und Freundschaften schildert. Sie freundet sich mit den jetzigen Besitzern der Rosinkawiese an und sucht den Austausch – einen Austausch, den ihre Mutter Elfriede nicht nachvollziehen kann – und somit leisten ihre Rosinkawiesen-Bände einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern und auch zwischen den Generationen. Die Rosinkawiesen-Reihe erscheint in mehreren Auflagen und wurde auch ins Tschechische übersetzt.

2.3 Wissenschaftliche Werke

1998 promoviert Gudrun Pausewang unter ihrem Namen Gudrun Wilcke, der nach ihrer Heirat im Pass eingetragen war, am Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie publizierte ihre Promotion Vergessene Jugendschriftsteller der Erich-Kästner-Generation, in der sie u. a. Autoren, die zwischen 1889 und 1911 geboren waren und die Pausewang der ‚Kästner-Generation‘ zuordnet, dem Vergessen entreißen wollte. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit lag auf den Porträts der zehn Autoren und Autorinnen – u. a. Friedrich Feld, Alma Holgersen oder Anna Maria Jokl. Sie stellt ihre biografischen Daten und ihre wichtigsten Werke vor und diskutiert, weshalb die (historische) Kinder- und Jugendliteraturforschung sich auch diesen Autoren und Autorinnen widmen sollte. Ihre Auseinandersetzung mit den sozialkritischen Autoren und Autorinnen der Weimarer Republik überrascht nicht. Pausewangs literarisches Werk öffnet sich ebenso sozialkritischen Fragen und knüpft so auch an die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik an. 2005 erschien ihre Arbeit Die Kinder- und Jugendliteratur des Nationalsozialismus als Instrument ideologischer Beeinflussung.

 

3 Rezeption

Gudrun Pausewang gehört zu den engagierten Kinder- und Jugendbuchautoren der BRD. Ihre zum Teil drastische Umsetzung der Themenfelder in ihren literarischen Texten wurde immer wieder von der Literaturkritik und auch von der Literaturwissenschaft kontrovers diskutiert. In Rezensionen wird sie provokativ als „Lehrerin der Angst“ und ihre Romane als „Warnbücher“ oder „Wachrüttelgeschichten“ bezeichnet. Ihre Botschaften seien klar und einfach formuliert, so ein immer wiederkehrender Topos in der Literaturkritik. In den Rezensionen, Literaturkritiken und Beiträgen tauchen immer wieder die Fragen nach der Zumutbarkeit der Texte von Gudrun Pausewang für Kinder auf. Die Frage „Schulden wir den Kindern nicht Schutz auch vor der gedachten Wirklichkeit – solange sie sie nicht bewältigen können?“ (Hentig 1991, S. 65) stellt der Pädagoge Hartmut von Hentig, um sie sofort mit einem „nein“ zu beantworten. Hentig plädiert dafür, Kinder aufzuklären und mit ihnen über die Gefahren zu sprechen.

„Wo stünde die moderne Kinder- und Jugendliteratur heute ohne die Werke von Gudrun Pausenwang?“ (Glasenapp 2008, S. 11), fragt Glasenapp und attestiert in der Laudatio zu ihrem 80. Geburtstag Pausewang einen bedeutenden Einfluss auf die Kinder- und Jugendliteratur der letzten 30 Jahre. Während also einerseits der pädagogische Zeigefinger kritisiert wird, so wird andererseits der Einfluss der engagierten Literatur von Gudrun Pausewang für eine (west-)deutsche Kinder- und Jugendliteraturgeschichte positiv hervorgehoben. Betont wird hierbei, dass Pausewang die sozialkritische Literatur beeinflusst hat und dass sie sich mit wenigen anderen Autorinnen und Autoren bereits in den 1970er erstmals seit der Weimarer Republik gesellschaftspolitischen Fragestellungen zuwandte. Sie hat, so Glasenapp, „diese Entwicklung weiter voran getrieben“ (ebd., S. 11). Vor allem der Roman Die Wolke bildet einen „Meilenstein in der Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur“ (ebd., S. 12), zählt zu den politischsten Kinder- und Jugendromanen der BRD und Pausewang seit seinem Erscheinen zu den bekanntesten Vertretern der engagierten Kinder- und Jugendliteratur. Sowohl die Forschung als auch die Kritik betonen, dass Pausewang gradlinig erzählt, jedoch die literarische Form politischen oder moralischen Aussagen unterordnet. Das Lehrstück tritt in ihren Texten offen hervor.

Als ihr Roman Die Wolke für den Deutschen Jugendliteraturpreis empfohlen wird, kommt es zu einem Eklat, der in der Geschichte des Preises einmalig ist. Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist der einzige Staatspreis für Literatur, der in der BRD seit 1956 vom jeweiligen Bundesfamilienministerium ausgeschrieben und finanziert wird. Ausgerichtet wird der Preis vom Arbeitskreis für Jugendliteratur (AKJ), der auch die unabhängige Jury bestimmt. Der Deutsche Jugendliteraturpreis fühlt sich einer doppelten Zielsetzung verpflichtet: „Der Auszeichnung von literarischer, künstlerischer Qualität einerseits und dem Prinzip der Leseförderung andererseits“ (Daubert 2006, S. 11). Bis 1988 funktionierte die Arbeit zwischen dem Familienministerium und der Jury fast ohne Probleme. Im Frühjahr eines Jahres reichte die Jury ihre Auswahlliste und ihre Preisbücher im Ministerium ein und bis 1988 wurde keines der Bücher abgelehnt. Im Jahre 1988 dauerte jedoch die Bestätigung der prämierten Bücher, darunter auch Pausewangs Die Wolke, länger und erst aus einem Zeitungsartikel der Münchener Abendzeitung erfuhren die Jurorinnen und Juroren, weshalb die Bekanntgabe der Preisbücher sich verzögerte. Der Roman wurde nicht von allen Leserinnen und Lesern als eine fiktive Anti-Utopie wahrgenommen, sondern das zuständige Ministerium äußerte Bedenken hinsichtlich der „politischen Mission“ (Brunken 2006, S. 74). Anschließend entfachte in etwa 50 Artikeln eine Diskussion um die Preisverleihung. Zeitungen und Zeitschriften wie Der Spiegel oder Die Zeit sprechen offen von Zensur (vgl. Schoppe 1988, S. 33). In den Beiträgen wird auch die pädagogische Funktion von (Kinder- und Jugend-)Literatur diskutiert. Ähnlich wie Hartmut von Hentig argumentieren auch die Verfasser zahlreicher Artikel, dass man Kindern nicht die Gefahren von Kernkraftwerken verheimlichen dürfe. Alle sprachen sich für die Vergabe des Preises für Gudrun Pausewang aus, die den Preis am 1. November 1988 bekam. Die Diskussionen um die Prämierung der Wolke zeigen, wie kontrovers die Literatur von Gudrun Pausewang in den späten 1980er Jahren aufgefasst wurde. Zugleich löste Die Wolke eine Diskussion über Zumutbarkeit von Kinder- und Jugendliteratur aus.

1999 wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 2009 verleiht die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach den Großen Preis an Gudrun Pausewang für ihr literarisches Lebenswerk. In der Begründung heißt es:

Ihre zahlreichen vielgelesenen Bücher greifen in bewegender Weise brennende zeitgeschichtliche Themen auf. In ihrer besonderen Wirkung sind sie wohl der beste Gegenbeweis zur skeptischen Behauptung, dass Literatur nichts verändern könne. (http://www.akademie-kjl.de/pages/preisverleihung.html)

Neben den literarischen Auszeichnungen tragen sechs Schulen den Namen Gudrun Pausewang – u. a. im hessischen Lauterbach und in Nidda.

 

Literaturverzeichnis

Primärliteratur (Auswahl)

  • Hinterm Haus der Wassermann. Mit Ill. v. Johannes Grüger. Düsseldorf: Schwann 1972.
  • Die Not der Familie Caldera. Ravensburg: Maier 1977.
  • Auf einem langen Weg. Ravensburg: Maier 1978.
  • Alternatives Leben vor 50 Jahren. In Zusammenarbeit mit Elfriede Pausewang. Ravensburg: Maier 1980.
  • Die letzten Kinder von Schewenborn oder … sieht so unsere Zukunft aus? Ravensburg: Maier 1983.
  • Wer hat Angst vor Räuber Grapsch? Mit v. Rolf Rettich. Ravensburg: Maier 1984.
  • Das Sonnenfest. Mit Ill. v. Inge Steineke. Köln: Middelhauve
  • Guten Tag, lieber Feind. Mit Ill. v. Inge Steineke. Köln: Middelhauve
  • Ein Eigenheim für Räuber Grapsch. Mit Ill. v. Rolf Rettich. Ravensburg: Maier 1987.
  • Die Wolke. Ravensburg: Maier 1987.
  • Fern von der Rosinkawiese: die Geschichte einer Flucht. Ravensburg: Maier 1989.
  • Geliebte Rosinkawiese: die Geschichte einer Freundschaft über die Grenzen. Ravensburg: Maier 1990.
  • König Midas mit den Eselsohren. Mit Ill. v. Inge Steineke. Freiburg i. Br.: Herder
  • Der Schlund. Ravensburg: Maier 1993.
  • Die Verräterin. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 1995.
  • Wie es den Leuten von der Rosinkawiese nach dem Krieg erging. Frankfurt am Main: Eichborn
  • Adi, Jugend eines Diktators. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 1997.
  • Der Spinatvampir. Mit Ill. v. Markus Grolik. Düsseldorf: Sauerländer 2003.
  • Überleben! Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2005.
  • Die Meute. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2006.

Wissenschaftliche Arbeiten, Reden und Aufsätze (Auswahl)

  • Pausewang, Gudrun: Hallo, Vetter Quijote. Frankfurt am Main: Freundeskreis des Instituts für Jugendbuchforschung
  • Wilcke, Gudrun: Vergessene Jugendschriftsteller der Erich Kästner-Generation. Frankfurt am Main: Peter Lang
  • Wilcke, Gudrun: Die Kinder- und Jugendliteratur des Nationalsozialismus als Instrument ideologischer Beeinflussung. Frankfurt am Main: Peter Lang
  • Pausewang, Gudrun: Erlaubter Humor im Nationalsozialismus (1933–1945). Frankfurt am Main: Peter Lang

Forschungsliteratur (Auswahl)

  • Arbeitskreis für Jugendliteratur (Hrsg.): Deutscher Jugendliteraturpreis ’88. Eine Pressedokumentation. München 1989.
  • Dahrendorf, Malte: Heimatverlust. Über die Behandlung eines ambivalenten Themas in der zeitgeschichtlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Bücher haben ihre Geschichte. Kinder- und Jugendliteratur. Literatur und Nationalsozialismus. Deutschdidaktik, Jan Norbert Hopster zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Petra Josting, Petra u. Jan Wirrer. Hildesheim: Olms 1996, S. 217–
  • Dahrendorf, Malte: Wider das Verdrängen und Verharmlosen. Gudrun Pausewangs Atomkatastrophenbücher. In: Über Pausewang. Hrsg. v. Gabriele Runge. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 1991, S. 56–61.
  • Glasenapp, Gabriele von: Gudrun Pausewang zum 80. Geburtstag. In: Kinder- und Jugendliteraturforschung (2008), H. 1/2. Frankfurt, S. 11–
  • Heidtmann, Horst: Gudrun Pausewang. In: Killy, Walther (Hg.): Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Bd 9. München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1991, S. 105–
  • Richter, Karin: „Gefahren zu verheimlichen, erlöst nicht von Ängsten“. Gudrun Pausewangs „Atomkatastrophenbücher“ Die letzten Kinder von Schewenborn und Die Wolke. In: Deutschunterricht (1991), Nr. 8, S. 619–
  • Runge, Gabriele (Hrsg.): Über Pausewang. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 1991.
  • Shavit, Zohar: Es war einmal ein Krieg. Jüdische und nichtjüdische Kriegs- und Nachkriegskindheit und -jugend in der Kinder- und Jugendliteratur. In: Kriegs- und Nachkriegskindheiten. Studien zur literarischen Erinnerungskultur für junge Leser. Hrsg. v. Gabriele von Glasenapp u. Hans-Heino Ewers. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 51–68.